EuG-Urteil vom 12.11.2025, T‑464/24
Sachverhalt:
Ein Schweizer Unternehmen (Antragstellerin) ist Inhaberin einer internationalen Registrierung mit Schutzerstreckung auf die Europäische Union. Diese ältere Marke (Gewährleistungsmarke) besteht aus einem gelben Kreis mit einem dunkelgrünen, stilisierten Element, das vom Publikum entweder als Buchstabe V oder als Pflanze mit Blatt wahrgenommen werden kann:
Die Marke ist für ein breites Spektrum von Waren und Dienstleistungen in zahlreichen Klassen geschützt, unter anderem für Lebensmittel und Getränke.
Die Antragstellerin beantragte die Nichtigerklärung folgender Unionsmarke für Waren der Klassen 3, 5, 18, 25, 29, 30, 31, 32 und 33:
Die Unionsmarke ist unter anderem eingetragen, also etwa für Kosmetika, pharmazeutische Produkte, Bekleidung und zahlreiche Lebensmittel und Getränke.
Der Antrag stützte sich auf Art. 60 Abs. 1 Buchst. a UMV in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. b UMV betreffend die Verwechslungsgefahr sowie Art. 8 Abs. 5 UMV zum Schutz bekannter Marken.
Die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO wies den Antrag zurück. Sie verneinte eine Verwechslungsgefahr und sah die Bekanntheit der älteren Marke im Sinne von Art. 8 Abs. 5 UMV als nicht hinreichend nachgewiesen an. Die Beschwerdekammer des EUIPO wies die dagegen gerichtete Beschwerde zurück.
Entscheidung:
Das EuG wies die Klage der Antragstellerin ab und bestätigte die Entscheidung der Beschwerdekammer.
Im Hinblick auf das relevante Publikum und dessen Aufmerksamkeitsgrad bestätigte das EuG, dass sich die betroffenen Waren an das breite Publikum der gesamten EU richten. Der Aufmerksamkeitsgrad variiert je nach Art der Ware und reicht von unterdurchschnittlich bei alltäglichen Lebensmitteln bis hin zu hoch bei gesundheitsbezogenen Produkten. Verbraucher bringen gerade im Gesundheitsbereich einen erhöhten Grad an Aufmerksamkeit auf.
Beim Vergleich der Waren und Dienstleistungen ging das EuG zugunsten der Antragstellerin von Identität der Waren und Dienstleistungen aus.
Beim Zeichenvergleich kam das EuG zu folgendem Ergebnis: Die ältere internationale Marke wird von einem Teil des Publikums als stilisierter Großbuchstabe V, von einem anderen Teil als Abbildung einer Pflanze mit Blatt wahrgenommen. Der gelbe Kreis erscheint als Hintergrund in Label- oder Siegelanmutung. Die Farbe Grün wird mit Natürlichkeit, die Farbe Gelb mit Aufmerksamkeit und Signalfunktion in Verbindung gebracht, bleibt aber im Segment nachhaltiger und pflanzlicher Produkte kennzeichnungsrechtlich üblich. Dem Buchstaben V maß das Gericht nur eine allenfalls schwache inhärente Kennzeichnungskraft zu. Er kann vom Publikum als Abkürzung für vegan oder vegetarisch verstanden und damit als unmittelbarer Hinweis auf eine Eigenschaft der Waren und Dienstleistungen aufgefasst werden. Auch die Darstellung einer Pflanze bzw. eines Blatts deutet auf natürlichen Ursprung oder Umweltverträglichkeit hin und weckt damit lediglich anpreisende oder beschreibende Assoziationen.
Die angegriffene Marke wird von Wortbestandteilen wie vegan und vriendly.org sowie weiteren grafischen Elementen umgeben. Der Wortbestandteil vegan ist für die betroffenen Waren rein beschreibend und damit kennzeichnungsschwach. Der Begriff vriendly.org wird jedenfalls von einem Teil des Publikums als Anspielung auf „Freundlichkeit zur Natur“ verstanden und verliert damit an Kennzeichnungskraft. Auch die Farbkombination Grün/Gelb ist im Kontext veganer und vegetarischer Produkte nicht ungewöhnlich und daher nicht selbstständig kennzeichnungskräftig.
In der bildlichen Gesamtbetrachtung bejahte das Gericht nur eine geringe Ähnlichkeit der Zeichen. Bei derart einfachen Zeichen erhalten kleine grafische Unterschiede ein besonderes Gewicht, weil sie den Gesamteindruck deutlich verändern können.
Klanglich sind die Zeichen für den Teil des Publikums, der in der älteren Marke einen Buchstaben V erkennt, identisch. Die weiteren Wortbestandteile der jüngeren Marke werden nach Auffassung des Gerichts in der Praxis nicht zwingend mitgesprochen, sodass der Verkehr die Marke häufig allein als V benennt. Für den Teil des Publikums, der die ältere Marke nur als pflanzliches Motiv wahrnimmt, entfällt ein klanglicher Vergleich vollständig.
Begrifflich sah es das EuG ähnlich. Sieht das Publikum im Bildbestandteil der älteren Marke eine Pflanze, fehlt es an einer klaren begrifflichen Bedeutung. Nimmt es den Buchstaben V wahr und versteht diesen als Abkürzung für vegan oder vegetarisch, ergibt sich eine begriffliche Identität der Zeichen, die jedoch im Wesentlichen auf beschreibenden Anklängen beruht.
Zentral für den Ausgang des Verfahrens war die Frage der Kennzeichnungskraft der älteren Gewährleistungsmarke. Das EuG bestätigte die Beurteilung des EUIPO, dass die Marke von Haus aus allenfalls eine schwache Kennzeichnungskraft besitzt. Sämtliche Zeichenbestandteile knüpfen an ein veganes oder natürliches Profil der Waren an und sind damit weitgehend beschreibend oder anpreisend.
Die Antragstellerin versuchte, eine durch Benutzung gesteigerte Kennzeichnungskraft und Bekanntheit nachzuweisen. Mehrere von ihr vorgelegte Studien (Gütesiegel Monitor 2018, 2020 und 2021) scheiterten aus Sicht des Gerichts bereits daran, dass sie nicht die eingetragene Form der älteren Marke untersuchten, sondern ein abgewandeltes Logo mit zusätzlichen Wortbestandteilen. Hinzu traten methodische Defizite und mangelnde Transparenz. Gesteigerte Kennzeichnungskraft oder Bekanntheit im Sinne von Art. 8 Abs. 5 UMV muss zum Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke vorliegen. Dies konnten die Studien nicht einwandfrei belegen. Zudem fehlte es an belastbaren Angaben zur geografischen Verbreitung, zur Dauer und Intensität der Benutzung sowie zu konkreten Verkaufszahlen, aus denen sich auf die Bekanntheit und den Grad der Kennzeichnungskraft schließen ließe. Allgemeine Medienberichte über den Erfolg vegan gekennzeichneter Produkte genügen diesen Anforderungen nicht.
Vor diesem Hintergrund verneinte das EuG sowohl eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke als auch ihre Bekanntheit im Sinne von Art. 8 Abs. 5 UMV. Da eine Bekanntheit nicht hinreichend nachgewiesen werden konnte, kam der erweiterte Bekanntheitsschutz des Art. 8 Abs. 5 UMV nicht zur Anwendung.
Bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr berücksichtigte das EuG die Identität der Waren und Dienstleistungen, die nur geringe bildliche Ähnlichkeit, die für einen Teil des Publikums bestehende klangliche und begriffliche Übereinstimmung sowie die lediglich schwache inhärente Kennzeichnungskraft der älteren Marke ohne nachgewiesene Steigerung. Trotz identischer Waren sah das EuG keine Verwechslungsgefahr. Maßgeblich war, dass sich die Übereinstimmungen auf kennzeichnungsschwache, weit verbreitete Gestaltungsmerkmale wie ein grünes V und die Farbkombination Grün/Gelb beschränken, während die grafischen Unterschiede der einfachen Bildzeichen deutlich ins Gewicht fallen. Selbst bei unterdurchschnittlicher Aufmerksamkeit traute das EuG dem Publikum zu, zwischen den beiden Siegeln zu unterscheiden und nicht anzunehmen, alle entsprechend gekennzeichneten Waren stammten von der Antragstellerin oder mit ihr wirtschaftlich verbundenen Unternehmen.
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