OGH-Entscheidung vom 11.4.2025, 4 Ob 107/24z
Sachverhalt:
Ein Polizist (Kläger) wurde über einen längeren Zeitraum von einem psychisch kranken Mann (Beklagter) im Internet belästigt und verleumdet. Der Beklagte litt an paranoider Schizophrenie und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Seine Handlungen führten beim Kläger zu einer posttraumatischen Belastungsstörung. Im Strafverfahren wurde festgestellt, dass der Beklagte die Taten in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand begangen hatte.
Der Kläger klagte daraufhin auf Schadenersatz und stützte sich dabei auf § 1307 ABGB. Nach dieser Bestimmung haftet jemand auch dann für Schäden, wenn er sich schuldhaft in einen „Zustand der Sinnesverwirrung“ versetzt hat. Der Kläger argumentierte, der Beklagte habe seine psychische Erkrankung durch jahrelangen Drogen- und Alkoholmissbrauch sowie das eigenmächtige Absetzen seiner Medikamente selbst verschuldet.
Entscheidung:
Das Erstgericht wies die Klage ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sei schon fraglich, ob eine psychische Erkrankung überhaupt schuldhaft herbeigeführt werden könne. § 1307 ABGB umfasse aber keinesfalls einen derartigen Dauerzustand. Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig, weil die Frage, ob eine psychische Erkrankung des Schädigers unter den Zustand der Sinnesverwirrung gemäß § 1307 ABGB zu subsumieren sei, eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe und vom Obersten Gerichtshof noch nicht beantwortet worden sei.
Der OGH befand die Revision für nicht berechtigt und stellte klar, dass § 1307 ABGB eng auszulegen ist. Die Bestimmung erfasst nur vorübergehende Zustände der Sinnesverwirrung wie etwa einen Rauschzustand, nicht aber dauerhafte psychische Erkrankungen. Dies ergibt sich aus der historischen Entwicklung der Norm sowie ihrem Zweck.
Auch wenn der Beklagte durch Drogenmissbrauch oder das Absetzen von Medikamenten zu seiner Erkrankung beigetragen haben sollte, begründet dies keine Haftung nach § 1307 ABGB. Die Norm setzt voraus, dass der Schaden unmittelbar in jenem vorübergehenden Zustand verursacht wurde, in den sich der Schädiger schuldhaft versetzt hat (zB im Rausch). Eine Haftung für Schäden aufgrund einer (wenn auch selbst verschuldeten) dauerhaften psychischen Erkrankung würde den Anwendungsbereich der Bestimmung überdehnen.
Der OGH verwies auf die Möglichkeit einer Haftung nach § 1310 ABGB, der Billigkeitserwägungen bei unverschuldeter Sinnesverwirrung ermöglicht. Da der Kläger sich aber nicht auf diese Bestimmung gestützt hatte, blieb es bei der Klagsabweisung.
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