OGH-Entscheidung vom 24.5.2023, 7 Ob 25/23m

 

 

Sachverhalt:

Die Klägerin ist Kundin einer Herstellerin von Hardware-Wallets und schloss mit dieser über deren Online-Shop einen Kaufvertrag über ein Hardware-Wallet. Auf die Wallet-Herstellerin fanden später Cyberangriffe statt, bei denen Kundendaten gestohlen und in einem Internetforum veröffentlicht wurden.

Die Klägerin wollte die Herstellerin des Hardware-Wallets klagen und forderte hierfür Deckung durch ihre Rechtsschutzversicherung. Als diese keine Deckung gewährte, begehrte die Klägerin vor Gericht die Feststellung der Rechtsschutzdeckung für die Durchsetzung ihrer Ansprüche auf immateriellen Schadenersatz und die Feststellung der Haftung für allfällige materielle Schäden gegen die Wallet-Herstellerin. Diese sei vertraglich verpflichtet gewesen, dafür zu sorgen, dass ihr Online-Shop fehlerfrei und ohne Sicherheitslücken funktioniere.

Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen der Klägerin (als Versicherungsnehmerin) und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung ARB 2017 zugrunde. Dessen Artikel 23 „Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz“ sieht vor, dass der Versicherungsschutz die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen […] umfasst. Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung und Abwehr von Ansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehen und über das Erfüllungsinteresse hinaus gehen, oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht änderte das Urteil dahin ab, dass es dem Deckungsbegehren nur in Bezug auf die Einbringung einer Feststellungsklage für zukünftige materielle Schäden stattgab. Der OGH befand die Revision der Klägerin zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und berechtigt.

Gemäß Art 23.2.1 ARB 2017 umfasst der „Allgemeine Vertrags-Rechtsschutz“ die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus sonstigen schuldrechtlichen Verträgen über bewegliche Sachen. Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung oder Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragsparteien oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.

Dass Schadenersatzansprüche wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten vom Vertragsrechtsschutz umfasst sind, bestritt die Beklagte nicht. Aus Art 23.2.1 zweiter Satz ARB 2017 ergibt sich kein Ausschluss der Geltendmachung von immateriellen Schäden. Vielmehr wird klargestellt, dass auch reine Vermögensschäden vom Vertragsrechtsschutz umfasst sind, wenn sie aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragsparteien oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.

Im vorliegenden Fall brachte die Klägerin vor, sie habe mit einer Unternehmerin einen Kaufvertrag über ein Hardware-Wallet, also eine bewegliche Sache, geschlossen. Die Wallet-Herstellerin habe gegen die vertragliche Nebenpflicht verstoßen, dass ihre Dienste (hier: der Online-Shop) fehlerfrei und ohne Sicherheitslücken funktionierten und insoweit sorgfaltswidrig gehandelt. Dadurch sei ihr ein immaterieller Schaden entstanden, weil sie aufgrund der Veröffentlichung ihrer personenbezogenen Daten im Internet mit einer Vielzahl von Werbe-E-Mails, Phishing-E-Mails und Anrufen von Dritten „bombardiert“ wurde, sodass sie sehr stark verunsichert und beängstigt sei. Darüber hinaus bestehe die sehr realistische Möglichkeit eines „Identitätsdiebstahls“ der Klägerin.

Daher war nach Ansicht des OGH die von der Klägerin beabsichtigte Geltendmachung ihrer immateriellen Schäden aus der Datenschutzverletzung beim Kauf eines Hardware-.

Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert. Gemäß Art 7.1.14 ARB 2017 besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit der Veranlagung von Vermögensgegenständen und Geld und der damit zusammenhängenden Beratung, Vermittlung und Verwaltung („Vermögensveranlagungsausschluss“). Im vorliegenden Fall hat sich aber nicht das Risiko einer Vermögensveranlagung verwirklicht, sondern das Risiko des Entstehens eines Rechtsstreits infolge des Kaufs eines Hardware-Wallets in einem Online-Shop. Der Risikoausschluss ist daher hier nicht einschlägig.

Der OGH stellte daher die Entscheidung des Erstgerichts wieder her.

 

 

Link zur Entscheidung

 

Weitere Blog-Beiträge zum Thema Versicherungen:

Neue OGH-Urteile zu den Grenzen privater Haftpflicht- und Unfallversicherungen

Rechtswirksames Anerkenntnis des Schadensreferenten einer Versicherung aufgrund Anscheinsvollmacht

Smartphone zum Versicherungsvertrag: Keine unzulässige Zugabe iSd UWG