OGH-Entscheidung vom 29.6.2022, 8 Ob 78/22m

 

Sachverhalt:

Die Klägerin kam in einer Supermarktfiliale der Beklagten zu Sturz und verletzte sich. Sie rutschte auf der Blechabdeckung eines Kühlregals aus, die von einem Mitarbeiter des Monteurunternehmens zur Durchführung von Reparaturarbeiten auf den Boden gelegt worden war. Es waren keine Warnschilder wegen der Reparaturarbeiten aufgestellt oder sonstige Absicherungsmaßnahmen vorhanden. Die Klägerin hatte das ca. 1,20m lange und im Prinzip gut sichtbare Blech nicht bemerkt, weil sie direkt auf ein Regal zugegangen war, ohne auf den Boden zu sehen. Bei Eintreffen der Klägerin war gerade kein Arbeiter in unmittelbarer Nähe tätig.

Die Klägerin begehrt Schadenersatz iHv ca. EUR 1.000 für die erlittenen Verletzungen. Die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt. Sie hafte gemäß § 1313a ABGB auch für die Mitarbeiter der Beklagten als ihre Erfüllungsgehilfen.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren dem Grunde nach zu zwei Drittel statt und bestätigte die Abweisung zu einem Drittel. Der OGH befand die Revisionen beider Parteien für unzulässig.

Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Wesentlich ist, ob eine Gefahr für einen sorgfältigen Menschen erkennbar war und welche Maßnahmen zur Vermeidung der Gefahr möglich und zumutbar sind.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass mit dem Herumliegen eines Blechstücks auf dem glatten Fliesenboden in einem von Supermarktkunden frequentierten Gangbereich eine nicht für jedermann erkennbare Gefahrenquelle geschaffen wird, wurde vom OGH geteilt. Dass Kunden, die ein Geschäft zum Einkaufen betreten, ihre Blicke vornehmlich auf die Verkaufsregale richten werden, entspricht der Lebenserfahrung. Nach dem Sachverhalt wäre es den mit der Reparatur beschäftigten Mitarbeitern der Nebenintervenientin ganz mühelos möglich und dementsprechend zumutbar gewesen, das Blechstück an die Seite des Ganges zu schieben oder an ein Regal zu lehnen, wo es keine Gefahr dargestellt hätte.

Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ergibt sich im Anlassfall aus der unnötigen, fahrlässigen Schaffung einer leicht vermeidbaren Gefahrenquelle durch die der Beklagten nach § 1313a unbestritten zurechenbaren Handwerker.

Da die Klägerin das Blech bei höherer Aufmerksamkeit bemerken und ihm ausweichen hätte können, wurde ein Drittel des Begehrens zu Recht abgewiesen.

 

 

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