OGH-Entscheidung vom 30.6.2022, 4 Ob 97/22a

 

Sachverhalt:

Ein bulgarisches Unternehmen ist seit 2011 Inhaberin der Unionsmarke „OPTONICA“, die u.a. für Geräte zum Beleuchten, Heizen, Dampferzeugen, Kochen, Kühlen, Trocknen, Lüften, zur Wasserversorgung und für sanitäre Zwecke geschützt ist. Eine Lizenznehmerin ist exklusiv zur Benutzung der Marke in Österreich berechtigt; unter der Domain https://optonicaled.at betreibt sie etwa einen Online-Shop für LED-Lampen.

Das beklagte Unternehmen vertreibt ebenfalls LED-Lampen über einen Online-Shop. Im März 2020 buchte die Beklagte bei „Google Ads“ Werbung für ihr Unternehmen unter Verwendung des Zeichens OPTONICA LED als Keyword. Diese Werbung war für einige Tage abrufbar. Während dieser Zeit erschien bei der Suche nach OPTONICA LED die Anzeige der Erstbeklagten an erster Stelle. Sobald man als Nutzer auf diese Anzeige klickte, gelangte man in den Webshop der Erstbeklagten. Die Beklagte bot weder zum Zeitpunkt der Schaltung dieser Anzeige noch danach Produkte der Marke OPTONICA an.

Ob die Beklagte durch die Schaltung der Anzeige, Produkte, welche ident bzw ähnlich mit Produkten der Marke OPTONICA waren, verkauften bzw ob Interessenten oder Nutzer aufgrund der Schaltung dieser Anzeige unter Verwendung des Keywords OPTONICA in den Webshop der Erstbeklagten gelangten, konnte nicht festgestellt werden.

Die Markeninhaberin und ihre österreichische Lizenznehmerin brachten eine Stufenklage ein und begehrten von der Beklagten zunächst die Rechnungslegung über erzielte Umsätze.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klage ab. Ob Interessenten im Webshop idente oder ähnliche Produkte unter Verwendung der Marke OPTONICA kauften und ob die Erstbeklagte aus der Verwendung des Keywords überhaupt Einnahmen erzielen konnte, bleibe wegen der Negativfeststellung (ob überhaupt Verkäufe oder Shop-Besuche erfolgten) offen. Wenn den Beklagten kein Inverkehrbringen angelastet werden könne, sei auch dem Rechnungslegungsbegehren die Grundlage entzogen. Das Berufungsgericht gab dem Rechnungslegungsbegehren wiederum statt. Der OGH ließ die außerordentliche Revision der Beklagten zur Klarstellung der Rechtslage zu; befand das Rechtsmittel aber für unberechtigt:

Die Stufenklage nach Art XLII EGZPO begründet keinen eigenen materiell-rechtlichen Anspruch auf Rechnungslegung, sondern setzt voraus, dass eine solche Verpflichtung schon nach bürgerlichem Recht besteht. Die Klägerinnen machen im Verfahren Ansprüche aus einer Unionsmarke geltend. Diese sind hier nach dem MSchG zu prüfen. Für das Rechnungslegungsbegehren ziehen die Klägerinnen § 55 MSchG in Verbindung mit § 151 PatG als konkrete Anspruchsgrundlage heran. Die Klägerinnen stützen das Rechnungslegungsbegehren darauf, dass ihnen die Zahlung eines angemessenen Entgelts oder eines Schadenersatzes zustünde. Aufgrund der AdWords-Werbeanzeigen seien Interessierte in den Webshop der beklagten Parteien gelockt worden. An diese Personen seien Waren verkauft worden. Es komme aber nicht ausschließlich auf einen Verkaufserlös an. Die Zahlungsansprüche könnten sich auch aus der bloßen Marken- bzw Kennzeichennutzung (in der Werbung) ergeben. Das Rechnungslegungsbegehren werde zur Vorbereitung des sich daraus ergebenden berechtigten Zahlungsanspruchs geltend gemacht.

Der OGH befand das Begehren der Klägerinnen Begehren durch die Rechtslage gedeckt. Zweck der Rechnungslegung nach § 55 MSchG sei es nämlich, den Kläger in die Lage zu versetzen, die Grundlage für seine Zahlungsansprüche zu ermitteln, um sein Leistungsbegehren beziffern zu können. Ein Rechnungslegungsanspruch nach § 55 MSchG ist bereits aufgrund eines festgestellten Markenrechtseingriffs berechtigt. Es ist unstrittig, dass die Erstbeklagte die klägerischen Markenrechte verletzt hat. Der OGH hat bereits geklärt, dass markenrechtliche Ansprüche auch bei unberechtigtem Keyword Advertising zustehen.

Im Unterschied zur Entscheidung Blasenkatheterset“ konnten die Klägerinnen den gegenständlichen Rechnungslegungsanspruch auf eine feststehende Verletzung des klägerischen Immaterialgüterrechts stützen. Zudem scheiterte das dortige Rechnungslegungsbegehren auch deshalb, weil die dort beklagte Partei über den Verkauf von patentverletzenden Produkten bereits eine sogenannte „Nullrechnung“ erstattet hatte, sodass ein darüberhinausgehender Auskunftsanspruch (erkennbar wegen Erfüllung) verneint wurde.

In der Entscheidung Tierklinik Q“ zielte das Rechnungslegungsbegehren auf die Einnahmen des Verletzers „aus der Verwendung“ einer Firma bei der Ankündigung und dem Vertrieb von tierärztlichen Dienstleistungen ab. Es konnte dort jedoch nicht festgestellt werden, ob Tierarztkunden den Verletzer aufgrund der unzulässigen Namensverwendung kontaktierten und ihre Tiere von diesem behandeln ließen. Der OGH wies das dortige Rechnungslegungsbegehren daher ab.

Beide Entscheidungen wurden vom Schrifttum kritisch aufgefasst, da Verletzte vor der Rechnungslegung oft gar nicht wissen können, in welchem Ausmaß und durch welche Benutzungshandlungen die beklagte Partei das geistige Eigentum verletzt habe. Der OGH sah sich daher zu einer Relativierung der jüngsten Judikaturlinie veranlasst.

Das mehrgliedrige Rechnungslegungsbegehren im vorliegenden Falle decke sich nicht (zur Gänze) mit der Negativfeststellung. Es betrifft etwa nicht nur den Verkauf von Produkten, sondern zielt ganz allgemein auf den mit der Benutzung der Marke erzielten Umsatz bzw Gewinn ab (und nicht nur auf den Verkauf von markenverletzenden Produkten). Zudem umfasst das Begehren auch die ersparten Lizenzkosten.

Als Ergebnis hielt der OGH fest, dass eine Negativfeststellung zu den Folgen der Verletzung eines Markenrechts nicht zur Verneinung eines damit in Verbindung stehenden Rechnungslegungsanspruchs führt. Der Umstand, dass im bisherigen Verfahren (noch) nicht festgestellt werden konnte, ob überhaupt Interessenten wegen der rechtswidrigen Verwendung der Marke in den Webshop der Erstbeklagten gelangten, spricht daher nicht gegen die Berechtigung eines (insoweit) damit korrespondierenden Rechnungslegungsbegehrens. Dem Rechnungslegungsbegehren der Klägerinnen wurde daher zu Recht stattgegeben.

Bei der Bemessung des angemessenen Entgelts ist darauf abzustellen, was redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten. Dabei ist maßgebend, welche Nutzung tatsächlich erfolgt, weil auszuschließen ist, dass redliche und vernünftige Parteien ein Entgelt vereinbaren, das einen Nutzen abgilt, der gar nicht entstehen kann. Die Lizenz wird üblicherweise als Stücklizenz berechnet. Für eine Nutzung in der Werbung und vergleichbare Nutzungshandlungen bietet sich auch eine Pauschallizenz an.

Im vorliegenden Fall ist über jene Umstände Rechnung zu legen, die für die Höhe einer Lizenzgebühr Relevanz haben können (also die genaue Dauer der Werbeeinschaltung, die erfolgten „Clicks“ und die in diesem Zeitraum und Zusammenhang mit ihrem Webshop getätigten Umsätze).

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

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