OGH-Entscheidung vom 16.12.2021, 4 Ob 177/21i

 

Sachverhalt:

Eine Fluggesellschaft schloss mit zwei Verbrauchern einen Vertrag über Flüge von Wien nach Neapel und zurück. Da der Flug überbucht war, durften die Verbraucher den Hinflug nicht wahrnehmen. Am angebotenen Ersatzflug hatten sie kein Interesse, weil die Aufenthaltsdauer für ihren Urlaub auf diese Weise von zweieinhalb Tagen auf nur einen vollen Tag reduziert worden wäre. Jeder von ihnen bekam deshalb die Flugkosten erstattet und erhielt EUR 250 als Ausgleichszahlung nach der EU-FluggastVO.

Einer der Verbraucher hatte für den gemeinsamen Urlaub um EUR 783 ein Hotel und um EUR 62,46 einen Mietwagen gebucht. Diese Kosten wurden nicht refundiert.

Die Verbraucher traten ihre Ansprüche an den Verein für Konsumenteninformation (VKI) ab, der 845,46 EUR an nutzlos gewordenen Hotel- und Mietwagenkosten als Schadenersatz einklagte.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Der OGH befand die Revision des Klägers zur Klärung der Rechtslage zulässig und teilweise berechtigt.

Die EU-FluggastVO legt nur die Mindestrechte der Fluggäste fest. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass eine Anrechnung von Ausgleichszahlungen auf weitergehende Schadenersatzansprüche rein nach nationalem Recht zu beurteilen ist. Auf welche Schadenersatzansprüche Ausgleichszahlungen nach der EU-FluggastVO in welchem Umfang anzurechnen sind, ist im vorliegenden Fall nach den Grundsätzen des österreichischen Rechts für die Vorteilsanrechnung zu prüfen.

Der herrschende Teil der Lehre ist der Ansicht, dass die Ausgleichszahlungen sowohl auf materielle als auch immaterielle Schadenersatzansprüche anzurechnen sind, wenn diese aus demselben Haftungsgrund, also etwa einer Nichtbeförderung resultieren. Der BGH hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Ausgleichszahlungen nach der EU-FluggastVO nicht nur dem pauschalierten Ersatz immaterieller Schäden in Form von Unannehmlichkeiten dienen. Unterbliebe eine Anrechnung der Ausgleichszahlung auf den Schaden wegen nutzlos gewordener Aufwendungen oder wie Hotel- und Mietwagenkosten, würde der Fluggast überkompensiert. Auch die Pauschalreise-RL 2015/2302/EU bestätigte dies und sieht ebenso wie die österreichische Umsetzung in § 12 Abs 5 PRG ausdrücklich vor, dass Ausgleichszahlungen nach Art 7 Abs 1 EU-FluggastVO auf vertragliche Ersatzansprüche gegen den Reiseveranstalter wechselseitig anzurechnen sind, um eine Überkompensation zu vermeiden.

Eine Vorteilsausgleichung erfolgt im österreichischen Recht jedoch nicht von Amts wegen, sondern nur über Einwendung des Schädigers, den für deren Voraussetzungen die Behauptungs- und Beweislast trifft. Im vorliegenden Fall wendete die Beklagte zwar ein, dass die Ausgleichszahlungen der beiden Verbraucher anzurechnen seien, sie hätte dies im vorliegenden Fall aber auch behaupten und nachweisen müssen, dass und wie die geforderten Hotel- und Mietwagenkosten beiden Verbrauchern zuzuordnen sind.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

Weitere Blog-Beiträge zum Thema Flugbuchungen:

VKI erfolgreich gegen deutsche Fluglinie: Zahlreiche AGB-Klauseln rechtswidrig

Online-Flugbuchungsplattformen: Gesonderte Service-Fees für Kreditkarten sind unzulässig

Online-Flugbuchungsportale: Wann zusätzliche Kosten anzugeben sind und weshalb Mehrwertnummern als alleinige Kontaktmöglichkeit unzulässig sind

EuGH: Bei Flugbuchung im Internet muss Endpreis von Anfang an erkennbar sein

Sturz in Abflughalle aufgrund Verunreinigung: Haftet Fluglinie oder Flughafenbetreiber?

Ausgleichzahlungen bei Verspätung oder Ausfall von Flügen

Verkaufswettbewerb für Reisebüromitarbeiter: Ansporn oder unlautere Bestechung?