OGH-Entscheidung vom 12.10.2021, 1 Ob 159/21w

 

Sachverhalt:

Eine Frau entdeckte einen Knoten in ihrer Brust und suchte daraufhin ihren Gynäkologen (Erstbeklagter) auf. Dieser überwies sie an ein Röngteninstitut, wo ein vermutlich gutartiges Fibroadenom gefunden wurde. Der Frau wurde gesagt, sie solle „das“ in Zukunft beobachten. Die zusätzlich durchgeführte Mammographie zeigte jedoch auch einen vergrößerten Lymphknoten in der Achsel, weshalb der Radiologe (Zweitbeklagter) zu einer ergänzenden Mamma-MR riet. Der Frau wurde dieser Befund jedoch nicht ausgehändigt, sondern es wurde ihr lediglich mitgeteilt, „dass das alles sei und sie nach Hause gehen könne“. Den vom Radiologen übermittelten Befund rief der Gynäkologe ab und las ihn durch. Weder der Erst- noch der Zweitbeklagte informierten die Frau über den Inhalt dieses Befundes und die darin enthaltene Empfehlung zur ergänzenden Untersuchung. Von ihrer Krebserkrankung erfuhr die Frau, die mangels Kenntnis vom Ergebnis der radiologischen Untersuchungen bis dahin keine weiteren Abklärungen oder Untersuchungen hatte vornehmen lassen, schließlich erst ein Jahr später. Weitere eineinhalb Jahre danach verstarb sie an ihrer Krebserkrankung.

Die minderjährigen Töchter der Frau klagten auf Feststellung der Haftung und Zahlung von Schmerzensgeld.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen sprachen den Kindern der verstorbenen Patientin als deren Erbinnen EUR 50.000 an Schmerzengeld zu und stellten die Haftung der beiden Beklagten gegenüber den Klägerinnen wegen der Behandlungs- und Aufklärungsfehler fest. Der OGH wies die dagegen erhobenen ao. Revisionen der Beklagten zurück.

Beide beklagten Fachärzte argumentierten, dass sich die Patientin um ihr Befundergebnis selbst hätte kümmern müssen. Die Aufklärungspflicht des Arztes umfasst auch jedoch die Pflicht, den Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen einer Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten. Wenn der Arzt erkennt, dass bestimmte ärztliche Maßnahmen erforderlich sind, dann hat er den Patienten auf deren Notwendigkeit und die Risken ihrer Unterlassung hinzuweisen.

Der erstbeklagte Gynäkologe hatte den Befund des Radiologen nicht nur erhalten, sondern auch abgerufen und gelesen. Der (ausschließlich an ihn adressierte) Befund enthielt den Ratschlag des Radiologen, wonach eine weitere Untersuchung seiner Patientin notwendig sei. Dem Gynäkologen war daher als Pflichtversäumnis anzulasten, dass er gemessen am Maßstab eines ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnitts(fach)arztes hätte klar erkennen müssen, dass bei seiner Patientin, die sich ja wegen des Knotens primär an ihn gewendet hatte, eine dringende Notwendigkeit der Durchführung weiterer Abklärungen vorlag, er sie aber dennoch nicht darüber aufklärte.

Der zweitbeklagte Radiologe suggerierte durch seine Äußerungen (es sehe alles gut aus, „sie solle das in Zukunft beobachten“) wiederum, dass aktuell kein weiterer Abklärungsbedarf bestehe. Dem gegenüber ergaben sich aber nach Durchführung der Mammographieuntersuchung davon abweichende Erkenntnisse, wovon er sie aber nicht in Kenntnis setzte, obwohl er in jedem Fall seine erste abgegebene Empfehlung richtigzustellen gehabt hätte.

Der Patientin war daher kein Mitverschulden anzulasten.

 

 

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