OGH-Entscheidung vom 20.2.2020, 6 Ob 17/20y

 

Sachverhalt:

Der damals etwa 30-jährige Kläger suchte im Jahr 2012 die Praxis seines praktischen Arztes auf, weil er sich kraftlos fühlte, Kopfschmerzen hatte und Unwohlsein und Schwindel verspürte. Um den Zustand des Klägers abzuklären, veranlasste der Beklagte ein großes Blutbild und überwies den Kläger zu einer MRT-Untersuchung des Kopfes. Das MRT wies auf das Vorliegen einer Geschwulst (Gliom) als eine abzuklärende Möglichkeit hin. Der Kläger holte die MRT-Bilder samt schriftlichem Befund einige Tage nach der Untersuchung persönlich ab und brachte die Unterlagen selbst direkt in die Ordination des Arztes. Dabei schaute er sich weder die übernommenen Bilder noch den Befund an.

Der Arzt schaute sich den radiologischen Befund an und gelangte zum Ergebnis, dass dieser mit dem Kläger zu besprechen sei. Zunächst wurde von der Praxis versucht, den Kläger telefonisch zu erreichen. Ein Kontakt auf diesem Weg kam nicht zustande. Zudem wurde per Post eine (nicht eingeschriebene) Benachrichtigung an den Kläger geschickt. Ob diese Benachrichtigung den Kläger erreichte, konnte nicht festgestellt werden. Der Kläger meldete sich in der Folge nicht in der Ordination. Weitere Bemühungen, den Kläger zu erreichen, wurden nicht gesetzt.

Drei Jahre später wurde beim Kläger ein Hirnstammgliom diagnostiziert. Rückblickend ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Erkrankung bereits 2012 vorhanden und bei weiterer medizinischer Abklärung bereits in einem früheren Stadium diagnostizierbar war. Die Verzögerung der Diagnose hat sich möglicherweise ungünstig auf die Behandlungsergebnisse und Behandlungschancen des Klägers ausgewirkt.

Der Kläger begehrte daher vom beklagten Arzt die Zahlung von EUR 22.908,83  sA an Schmerzengeld, Verdienstentgang, div. Aufwandersatz sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden des Klägers, insbesondere Spät- und Dauerfolgen.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren ab, gab dem Feststellungsbegehren jedoch statt. Das unterbliebene Sicherstellen der Information des Patienten über die Notwendigkeit weiterführender Untersuchungen sei als ärztlicher Behandlungsfehler im weiteren Sinn zu werten. Dem Kläger sei aber der Nachweis eines gesundheitlichen Nachteils als Schaden nicht gelungen, weshalb das Zahlungsbegehren nicht zu Recht bestehe. Das Berufungsgericht hob über die Berufungen beider Parteien das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs des Beklagten. Der OGH befand den Rekurs für zulässig und berechtigt.

Aus der Begründung:

Die ärztliche Aufklärungspflicht umfasst die Pflicht, den Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen einer Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten. Aufklärungspflichten und Belehrungspflichten bestehen nicht nur dann, wenn die Einwilligung des Patienten zur Durchführung einer ärztlichen Heilbehandlung erreicht werden soll, sondern auch dann, wenn dem Patienten eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen ist, ob er eine (weitere) ärztliche Behandlung unterlassen kann. Wenn der Arzt erkennt, dass bestimmte ärztliche Maßnahmen erforderlich sind, dann hat er den Patienten auf deren Notwendigkeit und die Risken ihrer Unterlassung hinzuweisen. Der Beklagte wäre in diesem Sinne verpflichtet gewesen, nach dem Studium des radiologischen Befunds den Kläger auf die indizierte weitere fachärztliche Abklärung durch einen Neurologen hinzuweisen.

Anders als die Vorinstanzen war der OGH jedoch der Ansicht, dass die Bemühungen des Beklagten, mit dem Kläger Kontakt aufzunehmen, ausreichend waren: Der Beklagte beließ es nicht nur bei einem Versuch, sondern setzte (zumindest) zwei Versuche auf jeweils verschiedene Art (Telefon, Post). Dem Kläger wäre auch bei einem verpassten Anruf auf seinem Mobiltelefon ein Rückruf möglich gewesen. Bei einer allfälligen Änderung der Telefonnummer wäre es am Kläger gelegen, diese Änderung dem Beklagten mitzuteilen. Auch wenn beim postalischen Versuch der Kontaktaufnahme nur ein Standardtext mit der Aufforderung, sich zwecks Befundbesprechung in der Ordination zu melden, verwendet worden sein sollte, wäre ein solcher Text ausreichend gewesen. Denn eine bloß schriftliche Aufklärung hätte ohnehin nicht genügt, da ein persönliches Aufklärungsgespräch erforderlich gewesen wäre, um eine entsprechende Aufklärung des Patienten zu bewirken. Schließlich verwies der OGH auch auf die den Patienten grundsätzlich treffende Eigenverantwortung.

Dem beklagten Arzt fällt daher kein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten zur Last, weshalb die auf Schadenersatz aus Verschulden gegründeten Ansprüche des Klägers nicht zu Recht bestehen. Der OGH befand die Sache daher spruchreif im Sinn der Klageabweisung.