OGH-Entscheidung vom 22.10.2024, 4 Ob 109/24v

 

Sachverhalt:

Der Kläger erwarb über ärztliche Verordnung ein Beatmungsgerät zur Behandlung seiner Schlafapnoe. Der Kläger verwendete das Gerät in der Folge beim Schlafen.

Drei Jahre später erhielt der Kläger eine „dringende Sicherheitsmeldung“, in der die Herstellerin auf mögliche Probleme im Zusammenhang mit einem Schaumstoff aus polyesterbasiertem Polyurethan in ihren Beatmungsgeräten hinwies. Zum einen könne sich der Schaumstoff in Partikel zersetzen, die vom Benutzer eingeatmet werden könnten, und zum anderen könne der Schaumstoff bestimmte Chemikalien freisetzen. Diese Probleme könnten (lebensbedrohliche) Schädigungen nach sich ziehen.

Der Kläger führte über die in der Sicherheitsmeldung genannte Webseite eine Abfrage durch, woraufhin er die Auskunft bekam: „Serial Number is affected. Please register your unit“.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger, vorrangig gestützt auf Produkthaftung nach dem PHG, Schmerzengeld für erlittene körperliche Schmerzen sowie seelische Beeinträchtigungen und erhob ein Feststellungsbegehren.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht stellte fest, dass das vom Kläger verwendete Beatmungsgerät vom fehlerhaften Schaumstoff betroffen war, und qualifizierte diesen Umstand als Produktfehler iSd § 5 PHG. Ein ersatzfähiger Schaden liege (noch) nicht vor, aber ein haftungsbegründender Produktfehler und auch ein Feststellungsinteresse. Das Berufungsgericht bestätige die Rechtsansicht des Erstgerichts.

Der OGH lies die Revisionen beider Parteien zur Klarstellung der Rechtslage zu, gab ihnen jedoch nicht Folge.

Gemäß § 5 Abs 1 PHG ist ein Produkt fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist, besonders angesichts 1. der Darbietung eines Produkts, 2. des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, 3. des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht worden ist. Dafür wird in ständiger Rechtsprechung zwischen Konstruktions-, Produktions- und Instruktionsfehlern unterschieden.

Ausschlaggebend für das Vorliegen eines Produktfehlers sind die berechtigten Sicherheitserwartungen. Fehlerhaft im Sinne des PHG ist ein Produkt, das nicht einmal für jenen Gebrauch, der im Rahmen der Zweckwidmung des Erzeugers liegt, die erforderliche Sicherheit bietet, die ein durchschnittlicher Verbraucher oder Benützer erwarten darf. Der Standard von Wissenschaft und Technik konkretisiert die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Produktbenützers. Werden gesetzliche Vorschriften, die der Produktsicherheit dienen, nicht eingehalten, liegt ein Produktfehler vor.

Wenn in einem Beatmungsgerät, das über lange Zeit jede Nacht für viele Stunden verwendet werden soll, ein Material enthalten ist, das sich zersetzen und in die Lunge geraten und/oder Chemikalien freisetzen kann, wodurch jeweils Gesundheitsschädigungen eintreten können, genügt das Gerät nicht den berechtigten Sicherheitserwartungen eines durchschnittlichen Anwenders (dies ungeachtet eines Verstoßes gegen besondere Sicherheitsvorschriften für Medizinprodukte).

Damit hat der Kläger bereits einen Produktfehler iSd § 5 PHG (im Zeitpunkt des Inverkehrbringens gemäß § 6 PHG) nachgewiesen. Ob sich der potentiell gefährliche Schaumstoff im Gerät des Klägers tatsächlich während seiner Nutzung zersetzt hat und in dessen Lunge geraten ist, oder Chemikalien freigesetzt hat, ist für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit nicht entscheidend.

Von der Fehlerhaftigkeit des Produkts iSd § 5 PHG ist der Nachweis des (kausal herbeigeführten) Schadens zu unterscheiden. Die Vorinstanzen verneinten zwar einen bereits eingetreten Schaden, gingen aber von einem Feststellungsinteresse iSd § 228 ZPO aus, weil Schadstoffemissionen durch die Verwendung des fehlerhaften Produkts und daraus resultierende Spätfolgen für die Gesundheit des Klägers nicht ausgeschlossen werden könnten. Dies entspricht der jüngeren Judikatur. Sollte in Zukunft tatsächlich eine Erkrankung auftreten, müsste der Geschädigte – ungeachtet eines Feststellungsurteils – im Leistungsprozess den Kausalzusammenhang zwischen dem Schadensereignis und der Erkrankung unter Beweis stellen.

Für Österreich normieren die §§ 1, 14 PHG iVm §§ 1325 ff ABGB ua einen Ersatz von Heilungskosten und Schmerzengeld. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen hat sich der Gesundheitszustand des Klägers durch die Verwendung des Geräts nicht verschlechtert. Insbesondere trat bislang weder eine Erkrankung der Lunge oder Atemwege noch eine Leistungsminderung ein. Auch eine psychiatrische Gesundheitsstörung mit Krankheitswert lag zu keinem Zeitpunkt vor. Schadstoffemissionen oder ein Eindringen von Partikeln in die Atemwege konnten weder ausgeschlossen noch festgestellt werden.

Der OGH stimmte daher den Vorinstanzen darin zu, dass dem Kläger für die festgestellten bloßen Angst- und Unlustgefühle kein immaterieller Schadenersatz nach dem PHG bzw ABGB zusteht.

 

 

Link zur Entscheidung

 

Weitere Blog-Beiträge zum Thema Produkthaftung:

 

Gebrochene Hüftprothese: Kein Anspruch nach dem Produkthaftungsgesetz wenn Fehler zum damaligen Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war.

Explosionsartiger Bruch einer Sektflasche nach heftigem Stoß – Keine Produkthaftung.

EuGH: Zeitung mit unrichtigem Gesundheitstipp ist kein „fehlerhaftes Produkt“

Benutzerinformation außer Acht gelassen – Produkthaftung?

Produkthaftungsrecht: Glastür eines Ofens zerspringt mangels Wartung. Hersteller haftet aufgrund fehlender Instruktion.

EuGH zur Produkthaftung bei potenziellen Fehlern: Hersteller haftet für Austauschkosten bei möglicherweise fehlerhaften Herzschrittmachern

EuGH: In Produkthaftungsfällen ist der „Ort des den Schaden verursachenden Ereignisses“ der Herstellungsort (internationale Zuständigkeit)