OGH-Entscheidung vom 24.11.2022, 9 Ob 99/22g

 

Sachverhalt:

Die Beklagte betreibt eine Sektkellerei. Die verwendeten Flaschen werden von verschiedenen Produzenten zugekauft. Die Konstruktion der Flaschen entspricht in Form und Gewicht einer branchenüblichen Sektflasche.

Der Kläger erwarb eine Sektflasche von der Beklagten und lagerte sie in seiner Garage. Am Etikett auf der Rückseite der Sektflasche findet sich der Warnhinweis: „Glasflasche steht unter Druck – kann bei Gewaltanwendung bersten (Splitterflug), nicht stoßen!“. Bei der Umlagerung stieß er mit der Flasche heftig gegen den Garagenboden oder einen anderen Gegenstand. Durch diesen Stoß kam es zu einem explosionsartigen Bruch. Durch die Explosion der Flasche wurden mehrere Splitter bzw Scherben weggeschleudert. Der Kläger zog sich dabei Schnittwunden zu. Die Flasche wies vor dem Bruch weder Vorbeschädigungen noch Fremdkörpereinschlüsse oder andere Spannungskonzentratoren auf.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger aufgrund seiner erlittenen Verletzungen einen Schmerzengeldbetrag von 10.000 EUR sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden. Die Beklagte hafte als Herstellerin der Flasche nach dem PHG.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Es liege weder ein Konstruktionsfehler noch ein Produktionsfehler oder ein Instruktionsfehler vor. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH wies die Revision des Klägers zurück.

Zusammengefasst ist ein Produkt nach § 5 Abs 1 PHG fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist, besonders angesichts 1. der Darbietung eines Produkts, 2. des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, 3. des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht worden ist. Ausschlaggebend sind die berechtigten Sicherheitserwartungen, ein objektiver Maßstab, dessen Konkretisierung im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände vorzunehmen ist; was im Einzelfall an Produktsicherheit erwartet werden darf, ist eine Rechtsfrage.

Für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts ist nicht strikt auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch, sondern auf alle Gebrauchsmöglichkeiten abzustellen. Ein Konstruktionsfehler liegt vor, wenn die Enttäuschung der Sicherheitserwartung im technischen Konzept des Produkts begründet ist. Die normgerechte oder anderen technischen Standards entsprechende übliche Herstellungsart indiziert regelmäßig die Fehlerfreiheit eines Produkts.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts entsprach die Sektflasche den geltenden Normen und technischen Sicherheitsstandards. Unter Berücksichtigung der objektivierbaren Anforderungen an die Eigenverantwortung des idealtypischen durchschnittlichen Produktbenützers erfüllt die Konstruktion der Sektflasche dessen berechtigte Sicherheitserwartungen. Diese liegen (nur) darin, dass eine Sektflasche, die lediglich am Boden abgestellt wird oder mit der im Zuge eines üblichen Abstellvorgangs an einer Tischkante angestoßen wird, nicht birst und Personen durch den dadurch verursachten Splitterflug der Glasflasche nicht verletzt werden. Dies steht auch mit der Darbietung des Produkts, nämlich dem Warnhinweis, in Einklang. Ein mit unüblich hoher Krafteinwirkung ausgeführter Stoß, stellt kein sozialübliches Verhalten dar. Eine Sektflasche steht unter beachtlichem Druck („Korkenknallen“) und ist insofern nicht mit einer kohlensäurehaltigen Mineralwasserflasche („Zischen beim Öffnen“) vergleichbar. Vom Benützer einer Sektflasche ist daher ein weitaus sorgfältigerer Umgang zu erwarten als von jenem einer kohlensäurehaltigen Mineralwasserflasche. Ob hier der heftige Stoß nur „versehentlich“ oder doch fahrlässig erfolgte, macht daher hier letztlich keinen Unterschied. Es liegt kein Konstruktionsmangel vor.

Kann die Verwendung des Produkts mit erheblichen Gefahren für die Gesundheit von Menschen verbunden sein, so dürfen Warnhinweise nicht im sonstigen Text „versteckt“ werden. Die Hinweise müssen eine Art der drohenden Gefahr deutlich herausstellen und Funktionszusammenhänge klar machen, sodass erkennbar wird, warum das Produkt gefährlich ist. Die Vorinstanzen beurteilten den Warnhinweis als ausreichend klar und verständlich. Mit den Worten „Bersten“ und „Splitterflug“ warnte er vor genau dem Risiko, das sich im vorliegenden Fall verwirklicht hat.

 

Link zum Entscheidungstext

 

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