OGH-Entscheidung vom 18.10.2023, 9 Ob 54/23s
Sachverhalt:
Der Kläger wurde 2010 an der Hüfte operiert. Bei der Operation wurde eine von der Beklagten im Jahr 2009 in Verkehr gebrachte Hüftprothese mit einer modularen Schenkelhalskomponente verwendet. Im November 2017 kam es aufgrund eines Konstruktionsfehlers zu einem Bruch im Bereich des Halsteils des Implantats, wodurch ein operativer Austausch der gebrochenen Prothese vorgenommen werden musste. Dabei handelte es sich nicht um eine normale Verschleißerscheinung.
Das Produkt entsprach dem damaligen Kenntnisstand der Wissenschaft und Technik. Eine erhöhte Bruchrate wurde in der Fachwelt erstmals 2009/2010 diskutiert. Es wurde aber nicht generell davon abgeraten, diese Prothesen-Typen zu verwenden. Erst die Auswertung wissenschaftlicher Daten führte in der Folge dazu, dass sämtliche Fachgesellschaften den routinemäßigen Einsatz modularer Halsteile nicht mehr empfahlen.
Der Kläger begehrte – gestützt auf Produkthaftungs- und Schadenersatzrecht – die Zahlung von ca. EUR 60.000 und die Feststellung der Haftung für weitere Schäden aus dem Produktversagen.
Entscheidung:
Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren im Umfang von ca. EUR 30.000 sowie dem Feststellungsbegehren statt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies die Klagebegehren wiederum ab. Die Hüftprothese habe zwar nicht die erforderliche Sicherheit geboten, jedoch sei die erhöhte Komplikationsrate in der Fachwelt zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens im Jahr 2009 noch nicht bekannt gewesen und das Produkt habe dem damaligen Kenntnisstand der Wissenschaft und Technik entsprochen.
Der OGH wies die außerordentliche Revision des Klägers zurück:
Die Haftung nach dem PHG setzt einen Produktfehler voraus. Ein Produkt ist gemäß § 5 PHG fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist. Die Haftung kann (unter anderem) durch den Nachweis ausgeschlossen werden, dass die Eigenschaften des Produkts nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem es der in Anspruch Genommene in den Verkehr gebracht hat, nicht als Fehler erkannt werden konnte (§ 8 Z 2 PHG). Damit wird die Haftung für typische Entwicklungsrisiken ausgeschlossen.
Ausschlaggebend für das Vorliegen eines Produktfehlers sind die berechtigten Sicherheitserwartungen, ein objektiver Maßstab, dessen Konkretisierung im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände vorzunehmen ist. Der Standard von Wissenschaft und Technik konkretisiert die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Produktbenützers. Erst bei Bejahung eines Produktfehlers kann der Haftungsausschluss der mangelnden Erkennbarkeit dieses Produktfehlers nach § 8 Z 2 PHG zum Tragen kommen.
Bereits die Vorinstanzen bejahten übereinstimmend das Vorliegen eines Produktfehlers. Dieser Produktfehler konnte aber nach dem Stand der Wissenschaft und Technik als solcher nicht erkannt werden. Andere modulare Systeme hätten zwar bereits 2006 eine erhöhte Bruchrate aufgewiesen, es können aber aus der Bruchrate anderer modularer Systeme keine Rückschlüsse auf das hier verwendete System gezogen werden.
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