OGH-Entscheidung vom 12.9.2023, 4 Ob 68/23p

 

Sachverhalt:

Die Streitteile stehen auf dem Markt des Vertriebs von Nahrungsergänzungsmitteln mit Spermidin im Wettbewerb.

Das Nahrungsergänzungsmittel der Beklagten enthält einen Spermidingehalt von 5 mg pro Gramm. Der Spermidingehalt resultiert daraus, dass darin Buchweizenkeimlingsmehl aus getrockneten und gemahlenen Buchweizenkeimlingen enthalten ist, welche in einer mit Spermidin angereicherten Nährlösung zum Keimen gebracht wurden. Weder das Nahrungsergänzungsmittel noch das darin verarbeitete Buchweizenkeimlingsmehl verfügen über eine Zulassung nach der Novel Food VO (Verordnung (EU) 2015/2283, NFVO).

Die Klägerin beatragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wonach es der Beklagten untersagt werden solle, das Nahrungsergänzungsmittel in Verkehr zu bringen, solange dafür keine Zulassung nach der Novel Food VO besteht.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht erlies die einstweilige Verfügung. Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag hingegen ab. Denn die Beklagte könne sich vertretbar auf den Ausnahmetatbestand nach Art 3 Abs 2 lit a sublit iv NFVO (Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel) berufen. Der OGH befand den dagegen gerichteten Revisionsrekurs der Klägerin für zulässig und berechtigt und stellte die einstweilige Verfügung des Erstgerichts wieder her:

Art 1 Abs 1 NFVO regelt das Inverkehrbringen neuartiger Lebensmittel in der Europäischen Union. Neuartige Lebensmittel sind nach Art 3 Abs 2 lit a NFVO alle Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 unabhängig von den Zeitpunkten der Beitritte von Mitgliedstaaten zur Union nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und in mindestens eine der in dieser Bestimmung aufgezählten Kategorien fallen. Dazu zählen […] iv) Lebensmittel, die aus Pflanzen oder Pflanzenteilen bestehen oder daraus isoliert oder erzeugt wurden, ausgenommen Fälle, in denen das Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union hat und das Lebensmittel aus einer Pflanze oder einer Sorte derselben Pflanzenart besteht oder daraus isoliert oder erzeugt wurde, die ihrerseits gewonnen wurde mithilfe […] vii) Lebensmittel, bei deren Herstellung ein vor dem 15. Mai 1997 in der Union für die Herstellung von Lebensmitteln nicht übliches Verfahren angewandt worden ist, das bedeutende Veränderungen der Zusammensetzung oder Struktur eines Lebensmittels bewirkt, die seinen Nährwert, seine Verstoffwechselung oder seinen Gehalt an unerwünschten Stoffen beeinflussen […].

Der EuGH hat im Hinblick auf ein Nahrungsergänzungsmittel mit Buchweizenkeimlingsmehl mit einem hohen Spermidingehalt bereits ausgesprochen, dass ein Lebensmittel wie Buchweizenkeimlingsmehl mit hohem Spermidingehalt, das in der Europäischen Union vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurde, ein „neuartiges Lebensmittel“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, da es erstens aus einer Pflanze gewonnen wird, zweitens nicht ersichtlich ist, dass seine Sicherheit durch Daten über seine Zusammensetzung und durch Erfahrungen mit seiner fortgesetzten Verwendung über mindestens 25 Jahre hinweg als Bestandteil der üblichen Ernährung einer signifikanten Anzahl an Personen in mindestens einem Unionsland belegt worden wäre und es drittens jedenfalls nicht mit Hilfe eines Vermehrungsverfahrens im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a Ziff. iv NFVO gewonnen wird.

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass das in dem von der Beklagten vertriebenen Nahrungsergänzungsmittel verarbeitete Buchweizenkeimlingsmehl mit erhöhtem Spermidingehalt vor dem 15. Mai 1997 in der EU nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurde. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich überdies, dass es sich beim Produkt der Beklagten um ein Lebensmittel handelt, das aus Pflanzen oder Pflanzenteilen besteht oder daraus isoliert oder erzeugt wird.

Die Ausnahmebestimmung nach Art 3 Abs 2 lit a sublit iv NFVO, wonach eine sichere Verwendungsgeschichte in der Union von Buchweizenkeimlingsmehl gegeben sei und es auf den Spermidingehalt nicht ankomme, weil sonst jedes Obst oder Gemüse neuartig wäre wegen unterschiedlicher Bodenbeschaffenheiten oder unterschiedlicher Düngung, ist im Lichte der zitierten Entscheidung des EuGH nicht mit gutem Grund zu vertreten. Schließlich handelt es sich bei der Bodenbeschaffenheit um einen natürlichen Zustand, während es hier um die künstliche Anreicherung der Buchweizenkeimlinge im Hinblick auf einen hohen Spermidingehalt geht.

Zudem ist der Vorgang des Keimens vermittelst einer mit Spermidin angereicherten Nährlösung („Herstellung“) der Lebensmittelproduktion und nicht dem Pflanzenwachstum zuzuzählen.

Das streitgegenständliche Lebensmittel unterfällt daher der NFVO und ist eine Zulassung nach dieser Norm geboten. Der Vertrieb des Lebensmittels ohne diese Voraussetzung begründet einen Rechtsbruch nach § 1 UWG.

 

 

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