EuGH-Urteil vom 24.3.2022, Rechtssache C‑533/20
Sachverhalt:
Ein ungarisches Unternehmen vertreibt Margarine. Die Kennzeichnung der Margarine enthält u. a. die Angabe „Vitamine (A, D)“. Die zuständige Behörde in Ungarn vertrat die Auffassung, dass diese Angabe nicht mit der Lebensmittel-Informationsverordnung vereinbar sei, die verlange, dass die enthaltenen Vitaminverbindungen anzugeben seien. Sie erließ daher einen Bescheid, in dem sie den Margarine-Hersteller dazu verpflichtete, die Kennzeichnung zu ändern.
Der Oberste Gerichtshof Ungarns legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob das Zutatenverzeichnis dieses Margarineerzeugnisses über die Bezeichnung der betreffenden Vitamine hinaus auch die Bezeichnung der speziell verwendeten Vitaminverbindungen enthalten muss.
Entscheidung:
Der EuGH stellte zunächst fest, dass in der Lebensmittel-Informationsverordnung Nr. 1169/2011 zwischen den Ausdrücken „Zutat“ und „Nährstoff“ unterschieden wird. Der Ausdruck „Nährstoff“ umfasst „Eiweiße, Kohlenhydrate, Fett, Ballaststoffe, Natrium, Vitamine und Mineralstoffe, die in Anhang XIII Teil A Nummer 1 dieser Verordnung aufgeführt sind“. Zutaten und Nährstoffe sind in unterschiedlichen verpflichtenden Angaben anzugeben, nämlich eines „Verzeichnisses der Zutaten“ und einer „Nährwertdeklaration“.
Das Verzeichnis der Zutaten muss sämtliche Zutaten umfassen, die in dem betreffenden Lebensmittel enthalten sind. Die Nährwertdeklaration muss den Brennwert und die Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz, die in dem betreffenden Lebensmittel enthalten sind, umfassen. Außerdem kann sie durch die Angabe u. a. der in dem Lebensmittel in signifikanter Menge vorhandenen Vitamine ergänzt werden. Daraus folgt, dass Vitamine grundsätzlich als Nährstoffe eingestuft werden und daher in der Nährwertdeklaration angegeben werden können, wenn sie in signifikanter Menge in einem Lebensmittel vorhanden sind, ohne dass diese Angabe jedoch zwingend vorgeschrieben wäre.
Vitamine können jedoch gleichzeitig Zutaten darstellen. Der Ausdruck „Zutat“ umfasst jeden Bestandteil, der bei der Herstellung eines Lebensmittels „verwendet“ worden ist und im Enderzeugnis „vorhanden bleibt“, was bei Vitaminen der Fall sein kann. Folglich muss ein Vitamin, wenn es einem Lebensmittel zugesetzt wird, zwingend in dem Zutatenverzeichnis angegeben werden. In der Nährwertdeklaration muss es hingegen nicht unbedingt genannt und quantifiziert werden.
Zu der Frage, unter welcher Bezeichnung ein solches Vitamin, in das auf dem betreffenden Lebensmittel anzubringende Zutatenverzeichnis aufzunehmen ist, stellte der EuGH fest, dass diese mit ihrer speziellen Bezeichnung zu bezeichnen sind. Dies ist entweder die rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung oder, falls es keine rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung gibt, die verkehrsübliche Bezeichnung dieser Zutat oder mangels einer solchen eine beschreibende Bezeichnung.
Nach Auslegung der maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass Vitamine, die in signifikanter Menge in Lebensmitteln enthalten sind, mit Bezeichnungen wie „Vitamin A“, „Vitamin D“ oder „Vitamin E“ bezeichnet werden. Vitamine sollten daher auch mit denselben Bezeichnungen zum Zweck ihrer Angabe im Zutatenverzeichnis so bezeichnet werden. Ziel soll es sein, dass Verbraucherinformationen über Lebensmittel zutreffend, klar und leicht verständlich sind.
Komplexere Information könne für einen Durchschnittsverbraucher weniger klar und weniger leicht verständlich sein; wie etwa die Angabe von Vitaminverbindungen wie „Retinylacetat“ oder „Cholecalciferol“, da die meisten dieser Vitaminverbindungen für die breite Öffentlichkeit relativ schwer verständlich und wenig bekannt sind.
Schlussendlich kam der EuGH daher zu dem Ergebnis, dass in dem Fall, dass einem Lebensmittel ein Vitamin zugesetzt wurde, das Zutatenverzeichnis dieses Lebensmittels über die Angabe der Bezeichnung dieses Vitamins hinaus nicht auch die Angabe der Bezeichnung der verwendeten Vitaminverbindung enthalten muss.
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