OGH-Entscheidung vom 17.10.2022, 6 Ob 102/22a

 

Sachverhalt:

Die Beklagte ist zur Ausübung des Gewerbes der Auskunfteien über Kreditverhältnisse gemäß § 152 GewO berechtigt und führt eine Datenbank, in der sie Zahlungserfahrungsdaten speichert. Unter anderem speicherte die Beklagte hinsichtlich des Klägers eine (zufolge positiver Erledigung geschlossene) Kapitalforderung von 822,44 EUR aus dem Jahr 2016.

Der Kläger begehrt die Löschung, hilfsweise Unterlassung der Speicherung und Weitergabe der von der Beklagten erfassten Zahlungserfahrungsdaten zu seiner Person.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Der OGH befand die Revision des Klägers für unzulässig.

Die Revision stützte sich u.a. auf Passagen dieser OGH-Entscheidung, aus der sich ergebe, dass die zulässige Speicherdauer nicht ab dem Datum der positiven Erledigung, sondern ab dem „Entstehen der Eintragung“ zu bemessen sei.

Da im vorliegenden Fall sowohl Eröffnung als auch positive Erledigung der Schuld des Klägers bei Schluss der Verhandlung erster Instanz innerhalb eines Fünfjahreszeitraums lagen und der erwähnten Entscheidung entsprechend auch eine Speicherdauer von bis zu zehn Jahren tolerabel ist, kann die Festlegung eines zwingenden Fristbeginns nicht von dort abgeleitet werden. Zur Festlegung der Fristen bzw Kriterien, nach denen sich der Löschungszeitpunkt bestimmt, komme es zusammengefasst auf eine Einzelfallbetrachtung anhand der konkreten Gegebenheiten an. Die zulässige Dauer der Aufbewahrung kann nach ihrem Zweck erheblich variieren.

Dem Alter von Forderungen bzw dem Zeitpunkt des Feststehens des endgültigen Ausfalls, dem Zeitpunkt etwaiger Tilgungen und dem seitherigen „Wohlverhalten“ von Schuldnern komme bei der Abwägung entscheidende Bedeutung zu, wobei Beobachtungs- oder Löschungsfristen in rechtlichen Bestimmungen zur Beurteilung herangezogen werden können, die dem Gläubigerschutz dienen oder die Erfordernisse an eine geeignete Bonitätsbeurteilung näher festlegen. Beispielsweise die Kapitaladäquanzverordnung, zu der der (EU-)Verordnungsgeber davon ausgeht, dass für die Beurteilung der Bonität eines (potenziellen) Schuldners bzw des Risikos einer Forderung Daten über etwaige Zahlungsausfälle über einen Zeitraum von zumindest fünf Jahren relevant sind.

Die positive Erledigung der Forderung ist jedenfalls zu berücksichtigen ist; wenngleich es vom OGH nicht als Verstoß gegen das Prinzip der Datenminimierung oder der Speicherbegrenzung angesehen wurde, wenn Daten über eine Insolvenz verarbeitet und der Zahlungsplan zum Zeitpunkt des Löschungsbegehrens erst vor eineinhalb Jahren bzw zum Entscheidungszeitpunkt erst vor etwas mehr als drei Jahren erfüllt worden ist.

Auch die Datenschutzbehörde folgt (in Abweichung von ihrer früheren Ansicht einer fixen Aufbewahrungsdauer) nunmehr einer Einzelfallbetrachtung. Insbesondere bei sehr hohen Krediten, die zwar vor mehr als zehn Jahren entstanden sind, aber erst 2017 im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zumindest teilweise erledigt wurden. In solchen Fällen überwiege das berechtigte Interesse der Kreditauskunftei an der Verwendung der Daten das Interesse des Beschwerdeführers an der Löschung der Daten (Link zur Entscheidung). Dagegen bejahte die Datenschutzbehörde unter Verweis auf die Einzelfallbeurteilung eine Verletzung des Löschungsrechts hinsichtlich einer Forderung von knapp 500 EUR, die im Juni 2010 entstanden und im Februar 2013 positiv erledigt worden war. Aufgrund der geringen Höhe der Forderung sowie der Begleichung der Schuld vor über fünf Jahren seien diese Daten nicht bonitätsrelevant. Hinsichtlich einer ganz ähnlichen Forderung, die ebenfalls 2010 entstanden, aber erst im April 2018 positiv erledigt worden war, lehnte die Datenschutzbehörde indes das Löschungsbegehren ab (Link zur Entscheidung).

Die Umstände, dass es sich im vorliegenden Fall um einen einzelnen Zahlungsausfall handelte, der bereits nach drei Monaten positiv erledigt wurde, mögen das Interesse potenzieller Gläubiger zwar abstrakt verringern, zugleich bilden die Bonitätsdaten dann aber auch keine besonders schwache Zahlungsmoral ab. Auch auf den Aspekt der damaligen Minderjährigkeit des Klägers kam es nicht entscheidend an. Es liege keine unzumutbare Beschneidung der Möglichkeit am Wirtschaftsleben teilzunehmen vor. Die – hier einzelne – Datenbankeintragung betreffend den Kläger habe insoweit Aussagekraft, als sie ein durchaus beachtliches Indiz für einen entweder zahlungsunfähigen oder zahlungsunwilligen Schuldner sein kann. Der OGH bestätigte folglich die Entscheidung der Vorinstanzen und wies das (Löschungs)Begehren ab.

 

Link zum Entscheidungstext

 

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