OGH-Entscheidung vom 22.12.2021, 6 Ob 214/21w

 

Sachverhalt:

Die Antragsgegnerin ist eine eingetragene Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft mit beschränkter Haftung. Der Antragsteller ist Genossenschafter der Antragsgegnerin. Der Genossenschaftsvertrag enthielt keine allgemeine Regelung zu Einsichtsrechten der Genossenschafter. Der Antragsteller beantragte bei Gericht, dass die Antragsgegnerin ihm volle Einsichtnahme in das Mitgliederregister samt Mitgliedernummern und Adressdaten gewähren müsse. Das Einsichtsrecht in die Adressdaten sei insbesondere zur Geltendmachung seiner Minderheitenrechte unerlässlich.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Antrag zur Gänze statt. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung grundsätzlich. Der OGH befand den dagegen erhobenen Revisionsrekurs zwar für zulässig, aber nicht berechtigt.

Zum Einsichtsrecht des Genossenschafters stellte der OGH klar, dass die nach § 14 GenG gestattete Einsichtnahme in das Register (Mitgliederverzeichnis) das Recht der Abschriftnahme einschließe; dieses Recht erstrecke sich auch auf die Adressen der Genossenschafter. Der Oberste Gerichtshof bejahte somit ein Einsichtsrecht auch hinsichtlich der Adressen. Auch eine separat vom Mitgliederverzeichnis nach § 14 Abs 1 GenG geführte Adressenliste wäre gemäß § 1194 Abs 1 S 2 iVm § 1175 Abs 4 ABGB grundsätzlich für den Genossenschafter einsehbar.

Zur Erforderlichkeit der Datenverarbeitung führte der OGH aus, dass die Adressdaten der Genossenschafter unstrittig als personenbezogene Daten (Art 4 Z 1 DSGVO) und die begehrte Einsichtnahme als Verarbeitung (Art 4 Z 2 DSGVO) zu qualifizieren sind. Das Gebot der eindeutigen Zweckbestimmung folgt primär aus Art 5 Abs 1 lit b DSGVO, ergibt sich aber indirekt auch aus dem in Art 5 Abs 1 lit a DSGVO manifestierten Transparenzgebot. Der Zweck der Ausübung und Organisation von Minderheitenrechten im Zusammenhang mit der Einberufung einer Generalversammlung wurde als ausreichend bestimmt erachtet.

Zur Rechtmäßigkeit der Verarbeitung erörterte der OGH Art 6 Abs 1 lit b, c und f DSGVO und kam schließlich zu dem Ergebnis, dass die Herausgabe personenbezogener Daten eines Genossenschafters an einen anderen Genossenschafter vom Erlaubnistatbestand des Art 6 Abs 1 lit b DSGVO umfasst ist. Eine systematische Auslegung der Erlaubnistatbestände des Art 6 Abs 1 DSGVO ergäbe zudem, dass die dreigliedrige Interessenabwägung (Vorliegen eines berechtigten Interesses, Erforderlichkeit der Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses und kein Überwiegen der Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person) lediglich nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO erforderlich ist, nicht aber beim Erlaubnistatbestand des Art 6 Abs 1 lit b DSGVO

Auch eine Verletzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes (Art 6 DSGVO) lag nach Ansicht des OGH nicht vor. Zusammenfassend bestätigte der OGH daher die Entscheidung des Rekursgerichts und gab dem Revisionsrekurs nicht Folge.

 

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

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