BGH-Urteil vom 9.12.2021 – I ZR 146/20

 

Sachverhalt:

Eine in der Schweiz ansässige Ärztin warb auf ihrer Internetseite mit der Aussage „Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App“ für die von einer privaten Krankenversicherung angebotene Leistung eines „digitalen Arztbesuchs“ mittels einer App.

Die deutsche Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs sah in dieser Werbung einen Verstoß gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen und klagte auf Unterlassung.

 

Entscheidung:

Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Auch der BGH entschied, dass die beanstandete Werbung gegen § 9 HWG (Heilmittelwerbegesetz) verstößt. Da es sich bei dieser Vorschrift um eine Marktverhaltensregelung handelt, ist die Beklagte nach dem deutschen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zur Unterlassung der Werbung verpflichtet.

Die Beklagte warb rechtswidrig für die Erkennung und Behandlung von Krankheiten, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht. Eine eigene Wahrnehmung im gesetzlichen Sinne setzt voraus, dass der Arzt den Patienten nicht nur sehen und hören, sondern auch – etwa durch Abtasten, Abklopfen oder Abhören oder mit medizinisch-technischen Hilfsmitteln wie beispielsweise Ultraschall – untersuchen kann. Das erfordert die gleichzeitige physische Präsenz von Arzt und Patient und ist im Rahmen einer Videosprechstunde nicht möglich.

§ 9 dHWG ist in seiner neuen Fassung zwar nicht auf die Werbung für Fernbehandlungen anzuwenden, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen (auch Apps), aber nur dann, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Die Beklagte hat für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung (Diagnose, Therapieempfehlung, Krankschreibung) im Wege der Fernbehandlung geworben. Die beanstandete Werbung ist daher unzulässig.

 

Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 9.12.2021

 

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