OGH-Entscheidung vom 20.12.2022, 4 Ob 192/22x

 

Sachverhalt:

Der Kläger klagte seine Rechtsschutzversicherung auf Deckung der Kosten für die Verfolgung von Ansprüchen aus einem Schadensfall. Sein Rechtsanwalt hatte seinen Kanzleisitz jedoch in Vaduz, Liechtenstein und ist dort in die Liste der liechtensteinischen Rechtsanwälte eingetragen. Allerdings hatte er 2015 auch in Österreich die Rechtsanwaltsprüfung bestanden.

Die beklagte Rechtsschutzversicherung argumentierte, dass der Klagevertreter nur im Fürstentum Liechtenstein als Rechtsanwalt zugelassen sei, welches wiederum Vertragsstaat des EWR-Abkommens sei, sodass das EIRAG anzuwenden wäre. Nach dessen § 5 Abs 1 dürften europäische Rechtsanwälte in Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht nur im Einvernehmen mit einem Einvernehmensrechtsanwalt als Vertreter oder Verteidiger einer Partei handeln, außer der dienstleistende europäische Rechtsanwalt hätte mit Erfolg die Eignungsprüfung nach § 5 Abs 3 EIRAG abgelegt.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht vertrat die Auffassung, dass die Eignungsprüfung viel weniger umfangreich sei als die Rechtsanwaltsprüfung. Die Fähigkeiten zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in Österreich, zu deren Nachweis die Ergänzungsprüfung diene, habe der Klagevertreter durch die Absolvierung der Rechtsanwaltsprüfung unter Beweis gestellt. Das Rekursgericht teilet diese Ansicht nicht, hob den Beschluss des Erstgerichts auf und trug ihm ein Verbesserungsverfahren zur Beseitigung der Postulationsunfähigkeit des Klägers auf. § 5 EIRAG weise keine planwidrige Lücke auf, sondern verweise ausdrücklich auf die Eignungsprüfung nach dem EIRAG. Der dagegen gerichtete Rekurs des Klägers an den OGH war erfolgreich:

Nach § 2 EIRAG dürfen europäische Rechtsanwälte in Österreich vorübergehend rechtsanwaltliche Tätigkeiten wie ein in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragener Rechtsanwalt erbringen, wobei sie jedoch den sich aus den Bestimmungen des ersten Teils des EIRAG ergebenden Beschränkungen unterliegen.

In Verfahren, in denen sich die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten lässt oder ein Verteidiger beigezogen werden muss, dürfen dienstleistende europäische Rechtsanwälte nur im Einvernehmen mit einem in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalt (Einvernehmensrechtsanwalt) handeln. Diese Regelung gilt nicht, wenn der dienstleistende europäische Rechtsanwalt mit Erfolg die Eignungsprüfung abgelegt hat. Diese Eignungsprüfung ist eine ausschließlich die beruflichen Kenntnisse des Bewerbers betreffende staatliche Prüfung. Auf die Eignungsprüfung ist das Rechtsanwaltsprüfungsgesetz (RAPG) sinngemäß anzuwenden.

Zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Österreich bedarf es nach § 1 Abs 1 RAO keiner behördlichen Ernennung, sondern lediglich der Nachweisung der Erfüllung der Erfordernisse laut § 1 Abs 2 RAO (darunter der Abschluss eines Studiums des österreichischen Rechts, die praktische Verwendung in der gesetzlichen Art und Dauer, die mit Erfolg zurückgelegte Rechtsanwaltsprüfung und die Teilnahme an den erforderlichen Ausbildungsveranstaltungen) und der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte.

Im vorliegenden Fall stand fest, dass der Klagevertreter als dienstleistender europäischer Rechtsanwalt in einem Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht  einschreitet. Er handelte dabei weder im Einvernehmen mit einem Einvernehmensrechtsanwalt noch hatte er die Eignungsprüfung abgelegt. Er hat jedoch die österreichische Rechtsanwaltsprüfung abgelegt.

Nach Ansicht des OGH ist § 5 Abs 3 EIRAG so zu verstehen, dass eine Eignungsprüfung iSd EIRAG nur für solche dienstleistenden europäischen Rechtsanwälte erforderlich ist, die nicht auch die österreichische Anwaltsprüfung abgelegt haben; für dienstleistende europäische Anwälte, die diese Prüfung absolviert haben, gilt – ebenso wie für Absolventen der Eignungsprüfung – § 5 Abs 1 und 2 EIRAG nicht, sodass sie keines Einvernehmensrechtsanwalts bedürfen.

Der Klagevertreter bedurfte aufgrund der von ihm abgelegten österreichischen Rechtsanwaltsprüfung folglich keiner Eignungsprüfung iSd EIRAG, um hier als dienstleistender europäischer Anwalt ohne Einvernehmensrechtsanwalt einzuschreiten; ein Mangel der Postulationsfähigkeit des Klägers lag nicht vor.

 

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