OGH-Entscheidung vom 24. Juni 2014, 4 Ob 94/14y

Sachverhalt:

Der Beklagte ist Rechtsanwalt in Dornbirn. Er verfasste im „Journal der ***** Rechtsanwälte mit Anwaltsverzeichnis“, das von der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer herausgegeben wurde und als Beilage zu einer Tageszeitung erschien, folgenden Artikel:

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Auf der gegenüberliegenden Seite des Journals erschien eine Anzeige der Anwaltskanzlei, der der Beklagte angehört.

Die Notariatskammer für Tirol und Vorarlberg klagte daraufhin auf Unterlassung und beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Dem Beklagten solle es verboten werden, im geschäftlichen Verkehr, Dienstleistungen von Rechtsanwälten im Verlassenschaftsverfahren marktschreierisch durch die Behauptung „Ein Verlassenschaftsverfahren ohne Rechtsanwalt ist wie eine Blinddarmoperation ohne Arzt“ oder durch sinngleiche Behauptungen anzupreisen; ebenso den unrichtigen Eindruck zu erwecken, dass Verlassenschaftsverfahren (sinngemäß zusammengefasst) vorteilhafter und kompetenter durch Rechtsanwälte als durch Notare abgewickelt werden können.

Entscheidung:

Erst- und Rekursgericht erließen den Sicherungsantrag nur eingeschränkt. Notare stehen mit Rechtsanwälten im Wettbewerb bei der Abwicklung von Verlassenschaften; die vermehrte Erteilung von Aufträgen zur schriftlichen Abhandlungspflege an Rechtsanwälte beeinträchtige wirtschaftliche Interessen der Notare. Der Artikel sei ohne Zweifel geeignet, eigenen und fremden Wettbewerb zu fördern. Der Beklagte weise aber zutreffend darauf hin, dass er im Beitrag nicht behauptet habe, die schriftliche Abhandlungspflege durch einen Rechtsanwalt sei für die Erben vorteilhafter als die Durchführung des Verlassenschaftsverfahrens durch einen Notar. Vielmehr habe er ausgeführt, dass die schriftliche Abhandlungspflege mehrere im Text ausdrücklich genannte Vorteile habe. Der Beklagte habe auch nicht behauptet, dass Anwälte für begleitende Maßnahmen kompetenter seien als Notare. Vielmehr habe er nur ausgeführt, dass die Beiziehung erfahrener und spezialisierter Anwälte für bestimmte Aufgaben von besonderem Vorteil sei. Damit habe er nicht auf Notare Bezug genommen.

Der OGH stimmte zunächst der Ansicht des Rekursgerichts zu, dass ein Wettbewerbsverhältnis sowie ein Handeln im geschäftlichen Verkehr vorliegt.

Die Aussage, ein Verlassenschaftsverfahren ohne Rechtsanwalt sei wie eine Blinddarmoperation ohne Arzt, ist in zweifacher Weise unlauter: Zum einen enthält diese Aussage trotz ihres marktschreierischen Charakters den überprüfbaren Tatsachenkern, dass in Verlassenschaftsverfahren regelmäßig eine anwaltliche Vertretung erforderlich sei. Diese Aussage ist unrichtig. Weiters hat der Beklagte mit dieser Aussage auch seine Standespflichten verletzt. Dem Rechtsanwalt ist nach § 45 Abs 3 lit a RL-BA eine Selbstanpreisung durch marktschreierische Werbung untersagt. Dies begründet bei Eignung zur nicht bloß unerheblichen Beeinflussung des Wettbewerbs einen Unterlassungsanspruch nach § 1 Abs 1 Z 1 UWG in der Fallgruppe „Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch“.

Nicht nur der unrichtige Tatsachenkern, sondern auch der plakative Charakter der Aussage kann den Durchschnittsverbraucher dazu bewegen, aus Anlass eines Verlassenschaftsverfahrens mit einem Rechtsanwalt Kontakt aufzunehmen. Eine gleich plakative „Gegenwerbung“ ist den Notaren versagt. Daher kann die Klägerin die beanstandete Formulierung auch als einen auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruhenden Verstoß des Beklagten gegen dessen eigenes Standesrecht verfolgen.

Zudem gab der OGH auch dem übrigen Teil des Unterlassungsbegehrens Folge (der in erster und zweiter Instanz abgewiesen wurde). Der vom Beklagten angestellte Vergleich zwischen der schriftlichen Abhandlungspflege und der Abhandlung der Verlassenschaft durch einen Notar ist demnach auch irreführend:

Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass der Beklagte die Tätigkeit eines Notars als Gerichtskommissärs mit jener eines Anwalts im Rahmen der schriftlichen Abhandlungspflege vergleicht und letztere als vorteilhaft darstellt. Der Durchschnittsverbraucher wird den Artikel als Vergleich zweier Systeme verstehen und dabei – wegen der von ihm zweifellos unterstellten Fachkunde und Seriosität des Beklagten als Rechtsanwalt – eine auf konkreten Tatsachen beruhende und damit objektiv nachprüfbare Bewertung dieser Systeme annehmen. Der Vergleich ist schon deshalb irreführend, weil er nicht offen legt, dass die schriftliche Abhandlungspflege auch von Notaren durchgeführt werden kann.

Der Beklagte stellt also zwei Varianten gegenüber, ohne die – gerade im Verhältnis zwischen Rechtsanwälten und Notaren naheliegende – dritte auch nur zu erwähnen. Diese wird vielmehr durch den Hinweis, dass der Notar „vom Gericht bestellt“ werde, geradezu ausgeschlossen. Auf dieser Grundlage muss der Durchschnittsverbraucher annehmen, dass seine Sache entweder durch einen vom Gericht bestimmten Notar oder durch einen frei gewählten Anwalt abgehandelt wird, eine dritte Möglichkeit wird er ausschließen. In einem weiteren Schritt wird er dem Artikel entnehmen, dass die Betrauung eines Anwalts aus verschiedenen Gründen vorzuziehen sei. Damit ist der Vergleich in irreführender Weise unvollständig, weil alle (allfälligen) Vorteile einer schriftlichen Abhandlungspflege auch in der ungenannt gebliebenen dritten Alternative, also bei Betrauung eines frei gewählten Notars, eintreten. Auch in Bezug auf die „begleitenden Tätigkeiten“ liegt ein irreführender Vergleich vor.

Aus all diesen Gründen gab der OGH dem Sicherungsbegehren zur Gänze Folge und erließ die EV wie beantragt.