OGH-Entscheidung vom 2.2.2022, 6 Ob 187/21z

 

Sachverhalt:

Der Beklagte war bei der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien als Universitätsprofessor angestellt. Darüber hinaus war er auch Angestellter der Wiener Staatsoper und Mitglied des Vereins der Wiener Philharmoniker. 2018 erklärte die Universität die Entlassung des Beklagten mit der Begründung, er habe sexuelle Übergriffe an jungen Männern gesetzt. Dieser Schritt hatte die sofortige Dienstfreistellung des Beklagten bei der Wiener Staatsoper und bei den Wiener Philharmonikern zur Folge.

Der Beklagte entschloss sich, eine Rechtsanwaltskanzlei mit seiner Vertretung zu beauftragen. Diese Kanzlei brachte beim Arbeits- und Sozialgericht Wien gegen die Universität eine Klage ein, die darauf abzielte, seine Entlassung für unwirksam zu erklären. Weitere verschiedene Prozesshandlungen wurden gesetzt. Schließlich trat einfaches Ruhen des Verfahrens ein, wobei der Beklagte über die rechtlichen Konsequenzen und seine Möglichkeiten informiert wurde. Weil der Beklagte (zwischenzeitlich durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten) das ruhende Verfahren nicht gehörig fortgesetzt hatte, wies das Arbeits- und Sozialgericht seine Zahlungsansprüche schließlich als verjährt ab.

Die zuerst beauftragte Rechtsanwaltskanzlei begehrte vor Gericht die Zahlung von unbeglichenem Honorar. Der Beklagte wendet (zusammengefasst) ein, dass er nicht richtig beraten worden sei und im Übrigen die Möglichkeit bestanden hätte, sich unentgeltlich durch die Arbeiterkammer vertreten zu lassen. Die Klägerin habe es verabsäumt, den Beklagten auf diese Alternative hinzuweisen.

 

Entscheidung:

Erstgericht und Berufungsgericht gaben der Klage statt. Die von der Universität ausgesprochene Entlassung habe zur Folge gehabt, dass der Beklagte von der Wiener Staatsoper und den Wiener Philharmonikern dienstfrei gestellt worden sei. Die Klagsführung habe deshalb bei der gebotenen Ex-ante-Schau der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung gedient. Auf die Warnungen der Klägerin über die unbedingte Notwendigkeit eines unverzüglichen Fortsetzungsantrags habe der Beklagte nicht reagiert. Die Bemühungen der Klägerin hätten daher ausgereicht, um den Beklagten vor einer Anspruchsverjährung zu schützen.

Einen Rechtsanwalt treffe keine Verpflichtung, einen potenziellen Klienten vor der Annahme eines Mandats auf eine unentgeltliche Vertretungsmöglichkeit durch die Arbeiterkammer hinzuweisen. Vielmehr sei es Sache des Rechtssuchenden, sich vor einer Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts darüber zu informieren, ob kostengünstigere oder gar unentgeltliche Vertretungsmöglichkeiten bestünden. Von einem Anbieter entgeltlicher Dienstleistungen zu verlangen, einen Interessenten auf günstigere Konkurrenzangebote hinzuweisen und damit die eigenen ökonomischen Grundlagen zu untergraben, überschritte die Grenzen einer Aufklärung, die ein mündiger Konsument vernünftigerweise erwarten dürfe. Insoweit liege keine Aufklärungspflichtverletzung durch die Klägerin vor.

Der OGH befand die Revision des Beklagten gegen diese Entscheidung zwar für zulässig, aber nicht berechtigt. Der Umstand, dass kammerzugehörige Arbeitnehmer gegenüber der Arbeiterkammer Anspruch auf (kostenlose) Rechtsberatung und Rechtsschutz durch gerichtliche Vertretung in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten haben, wird nicht Vertragsinhalt eines Mandatsvertrags zwischen einem Arbeitnehmer und einem frei gewählten Rechtsanwalt. Das allfällige Nichtwissen eines Arbeitnehmers von diesem kostenlosen Rechtsschutz kann somit in der Regel beim Abschluss eines Mandatsverhältnisses zu einem frei gewählten Rechtsanwalt nur einen Motivirrtum begründen. Im Allgemeinen besteht aber keine Aufklärungspflicht gegenüber dem potenziellen Vertragspartner betreffend außerhalb des Vertragsinhalts liegende Motive. Nach der Rechtsprechung berechtigt nämlich grundsätzlich nur ein arglistig herbeigeführter Motivirrtum zur Irrtumsanfechtung.

Der OGH kam folglich zu dem Ergebnis, dass ein Rechtsanwalt im Allgemeinen nicht verpflichtet ist, einen potenziellen Mandanten in einer arbeits- oder sozialrechtlichen Angelegenheit auf die Möglichkeit der kostenlosen Rechtsvertretung vor Gericht durch die Arbeiterkammer hinzuweisen.

 

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

 

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