EuGH-Urteil vom 25.11.2021, Rechtssache C‑102/20

 

Sachverhalt:

Die Streitparteien sind zwei miteinander im Wettbewerb stehende Stromlieferanten. Eine Werbeagentur schaltete im Auftrag des beklagten Unternehmens Werbeeinblendungen in E‑Mail-Postfächern von Nutzern des E‑Mail-Dienstes T‑Online. Dieser E-Mail-Dienst wird Nutzern unentgeltlich zur Verfügung gestellt und durch Werbekunden finanziert. Die Werbeeinblendungen erschienen in der Inbox der privaten E‑Mail-Postfächer der Nutzer, eingebettet in eingegangene E‑Mails. Diese Werbeeinblendungen unterschieden sich optisch von der Liste der anderen E‑Mails nur dadurch, dass das Datum durch die Angabe „Anzeige“ ersetzt war, dass kein Absender angegeben war und dass der Text grau unterlegt war. Die Betreffangabe enthielt einen Text zur Bewerbung vorteilhafter Preise für Strom und Gas.

Die Klägerin war der Ansicht, dass diese Werbepraxis gegen die Vorschriften über unlauteren Wettbewerb verstoße, eine „unzumutbare Belästigung“ darstelle und irreführend sei. Der BGH legte das Verfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

 

Entscheidung:

Der EuGH hielt eingangs fest, dass die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation 2002/58/EG (ePrivacy-Richtlinie) u. a. darauf abzielt, die Teilnehmer gegen die Verletzung ihrer Privatsphäre durch unerbetene Nachrichten für Zwecke der Direktwerbung zu schützen. Dieses Ziel muss unabhängig von der zugrunde liegenden Technologie gewährleistet sein.

Im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt kam der EuGH zu der Ansicht, dass die verfahrensgegenständliche Vorgehensweise eine Verwendung elektronischer Post darstellt, die dem Ziel der Richtlinie entgegensteht. Bereits die Art der Werbenachrichten (Bewerbung von Diensten in der Form einer E-Mail) macht es möglich, diese Nachrichten als „Nachrichten für die Zwecke der Direktwerbung“ einzustufen. Dass der Adressat der Werbenachrichten nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wird, kommt keinerlei Bedeutung zu. Nach Ansicht des EuGH ist entscheidend, dass eine zu kommerziellen Zwecken vorgenommene Kommunikation vorliegt, die einen oder mehrere Nutzer von E-Mail-Diensten direkt und individuell erreicht.

Zudem müsse für die Verwendung elektronischer Post für Zwecke der Direktwerbung zuvor der Empfänger eingewilligt haben. Eine solche Einwilligung muss in einer Willensbekundung der betroffenen Person zum Ausdruck kommen, die ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgt. Bezogen auf die Unentgeltlichkeit des E-Mail-Dienstes von T-Online hielt der EuGH fest, dass der BGH festzustellen haben wird, ob der betroffene Nutzer, der sich für die unentgeltliche Variante des E-Mail-Dienstes T-Online entschieden hat, ordnungsgemäß über die genauen Modalitäten der Verbreitung einer solchen Werbung informiert wurde und tatsächlich darin einwilligte, Werbenachrichten zu erhalten.

Zur Vorlagefrage des BGH, ob festgestellt werden müsse, dass die Belastung des Nutzers über eine Belästigung hinausgeht, stellte der EuGH klar, dass die Richtlinie die Einhaltung eines solchen Erfordernisses nicht vorschreibt. Für den EuGH steht jedoch fest, dass die verfahrensgegenständliche Werbemaßnahme dem betroffenen Nutzer tatsächlich eine Belastung auferlegt, da den Zugang zu E‑Mails in ähnlicher Weise behindert wie dies bei unerbetenen E‑Mails (Spam) der Fall ist.

Werbenachrichten in einer Form, die der einer tatsächlichen E-Mail ähnlich sind, fallen zudem unter den Begriff des „hartnäckigen und unerwünschten Ansprechens“, wenn die Einblendung dieser Werbenachrichten einerseits häufig und regelmäßig („hartnäckig“) war und andererseits mangels Einwilligung „unerwünscht“.

 

 

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