OGH-Entscheidung vom 6.11.2024, 6 Ob 184/24p

 

Sachverhalt:

Die Streitteile sind Nachbarn. Die Beklagte installierte auf ihrer Liegenschaft eine Kamera. Sie brachte außerdem Absperrungen auf ihrer Liegenschaft an, die u.a. auf das Grundstück der Klägerinnen zeigte.

Die Klägerinnen klagten auf Entfernung der Kamera und Unterlassung der Anbringung von Kameras, Kameraattrappen oder sonstigen technischen Mitteln zur Überwachung sowie auf Feststellung des Bestehens eines uneingeschränkten Gehrechts auf der Liegenschaft der Beklagten.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.

Der OGH wies die Revision der Beklagten zurück.

Aus § 16 ABGB wird das Persönlichkeitsrecht jedes Menschen auf Achtung seines Privatbereichs und seiner Geheimsphäre abgeleitet. Gemäß § 20 Abs 1 ABGB kann derjenige, der in einem Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist oder eine solche Verletzung zu besorgen hat, auf Unterlassung und auf Beseitigung des widerrechtlichen Zustands klagen. Im Übrigen leitet die Rechtsprechung aus dem Charakter der Persönlichkeitsrechte als absolute Rechte Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche bei Verletzungen dieser Rechte auch dann ab, wenn sie gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen sind.

Der OGH bejahte bisher auch dann, wenn etwa eine Überwachungskamera nicht in Betrieb gewesen war, den Anspruch des klagenden Nachbarn auf Abwehr von Eingriffen in seine Privatsphäre. Dieser Anspruch ist nämlich nur dann effizient durchsetzbar, wenn die Kamera nicht mehr auf das Grundstück des sich als beschwert Erachtenden gerichtet ist, und zwar unabhängig davon, ob sie sich im Betrieb befindet oder nicht, weil er insoweit keinerlei Kontrollmöglichkeit hat. Auch wenn eine Kamera nicht betriebsbereit ist, liegt keine bloß abstrakte Befürchtung eines möglichen Missbrauchs vor. Die Eingriffsgefahr ist somit zu bejahen, wenn die konkrete Befürchtung besteht, die Beobachtung mit der Kamera könnte einsetzen.

Für Nachbarn darf nicht der Eindruck des Überwachtwerdens entstehen. Können diese die berechtigte Befürchtung haben, dass sie sich im Überwachungsbereich befinden und von den Aufnahmen erfasst sind, so ist ein Eingriff in die Privatsphäre grundsätzlich zu bejahen (auch wenn es sich um Attrappen handelt). Den Verletzer trifft dann die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass er in Verfolgung eines berechtigten Interesses handelte und die gesetzte Maßnahme ihrer Art nach zur Zweckerreichung geeignet war. Stellt sich heraus, dass die Maßnahme nicht das schonendste Mittel war, erübrigt sich die Vornahme einer Interessenabwägung.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte an der Außenseite ihres Hauses unterhalb des Vordachs in etwa zehn Metern Höhe ohne Zustimmung der Erstklägerin eine funktionstüchtige Videokamera installiert, die in Richtung der an das Beklagtengrundstück angrenzenden öffentlichen Straße sowie des auf der anderen Straßenseite angrenzenden Grundstücks der Klägerin zeigt. Mit der Kamera war anfänglich nicht nur das Beklagtengrundstück gefilmt worden, sondern auch ein über dieses führender öffentlicher Wanderweg und die angrenzende öffentliche Straße. Über vorprozessuale Intervention veranlasste die Beklagte (nur) die Änderung des Neigungswinkels. Die Ausrichtung der funktionsfähigen Kamera auch auf das Grundstück der Klägerin ist nach den Feststellungen unverändert; die Neigung der Kamera ist veränderbar, womit auch die neuerliche Einbeziehung des Nachbargrundstücks in den Sichtbereich der Kamera grundsätzlich ermöglicht wird, ohne dass dies von außen erkennbar wäre. Allein dieser Umstand macht es vertretbar, eine berechtigte Befürchtung zu bejahen, sich (weiterhin bzw neuerlich) im Überwachungsbereich zu befinden und von Aufnahmen bzw Aufzeichnungen erfasst zu sein.

Auch das Bestehen eines uneingeschränkten Gehrechts auf der Liegenschaft der Beklagten wurde bejaht. Ein Rechtsbesitzer ist redlich, wenn er glauben kann, dass ihm die Ausübung des Rechts zusteht. Das Berufungsgericht führte aus, dass die fragliche Fläche auf dem Grundstück der Beklagten nach den Feststellungen seit mehr als 30 Jahren von den Klägerinnen begangen wurde, um zu deren Haus und Keller zu gelangen. Ob der Weg für einen unberechtigten Umbau des Hauses benützt wurde, war nicht relevant.

 

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