OGH-Entscheidung vom 22.9.2021, 4 Ob 55/21y

 

Sachverhalt:

Ein Hongkonger Unternehmen (Klägerin) bietet Studenten der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) Onlinekurse zur Prüfungsvorbereitung an. Diese Kurse bestehen aus selbstgedrehten Videos. In diesen Videos rechnet der Geschäftsführer der Klägerin Mathematik-Beispiele durch, wobei es sich um alte Beispiele zweier Universitätsprofessoren handelt. Der Geschäftsführer der Klägerin übernahm (ohne Zustimmung der beiden Professoren oder der WU) 90 % der Ressourcen eines früheren Hochschülerschaft-Kurses sowie dessen Lernplan und erläuterte diesen rein akustisch im Onlinekurs der Klägerin.

In den AGB behielt sich die Klägerin alle Rechte an ihren Lieferungen und Leistungen vor, diese durften nicht in einer über den Vertragszweck hinausgehenden Weise genutzt, insbesondere vervielfältigt oder Dritten zugänglich gemacht werden. Für den Fall des Zuwiderhandelns wurde Vertragsstrafe von EUR 2.000 festgesetzt.

Die Beklagte ist eine Studentin der WU und buchte insgesamt viermal den Premium-Kurs der Klägerin. Mit jeder Buchung akzeptierte sie die AGB der Klägerin. In geschlossenen Facebook-Gruppen veröffentlichte sie in weiterer Folge Postings, wonach sie die Inhalte der Klägerin auf Wunsch an alle Studenten unentgeltlich über E-Mail weitergebe. Mit diesen Inhalten könne man „genau so lernen, als hätte man dem Unternehmen 40 € geschenkt. Ich finde, die verdienen einfach zu gut.“

Die Klägerin klagte u.a. auf Unterlassung und Rechnungslegung und begehrte EUR 15.000 Schadenersatz. Sie habe nach Veröffentlichung der beiden Postings durch die Beklagte einen drastischen Umsatzrückgang erlitten.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab mittels Teilurteils dem Unterlassungs- und dem Rechnungslegungsbegehren statt; auch Schadenersatzansprüche stünden zu. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH befand die Revision der Beklagten für unberechtigt.

Die urheberrechtlichen Ansprüche der Klägerin wurden bereits in erster Instanz abgewiesen. Vor dem OGH ging es daher ausschließlich um Vertragsverletzungen der Beklagten, die sich gegenüber der Klägerin durch Akzeptanz deren AGB dazu verpflichtet hat, die Produkte der Klägerin nicht zu kopieren oder nachzuahmen oder durch Dritte kopieren oder nachahmen zu lassen. Dass die Dienstleistungen der Klägerin zu 90 % von Dritten übernommenen wurden (die dies mangels Vorgehens gegen die Klägerin dulden), stellt kein rechtswidriges Verhalten der Klägerin gegenüber der Beklagten. Die teilweise Übernahme fremder Leistungen führt auch nicht dazu, dass damit die gesamte Leistung der Klägerin gemeinfrei und die Beklagte von der Einhaltung ihrer Vertragsverpflichtungen befreit würde.

Eine Konventionalstrafvereinbarung verstößt nur dann gegen die guten Sitten, wenn ihre Zahlung das wirtschaftliche Verderben des Schuldners herbeiführen oder seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit übermäßig beeinträchtigen könnte oder wenn schon bei einer nur geringfügigen Fristüberschreitung eine hohe Strafe verwirkt sein sollte. Es muss ein offensichtlich unbegründeter Vermögensvorteil für den Gläubiger vorliegen, der dem Rechtsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht oder gegen oberste Rechtsgrundsätze verstößt.

All diese Erfordernisse sah der OGH hier nicht gegeben, sodass keine Unwirksamkeit nach § 879 ABGB vorliegt. Die Voraussetzungen für Rechtsmissbrauch liegen auch deshalb nicht vor, weil die Klägerin – wenn auch allenfalls unter Verletzung der Rechte Dritter – zumindest die Videos erstellt hat, die in unveränderter Form von der Beklagten weitergegeben wurden, und außerdem die Geltendmachung vertraglicher Rechte nur dann unzulässig ist, wenn der Vertragsabschluss als solcher (etwa wegen unredlichen Handelns, Täuschung oder Drohung) zu missbilligen ist. Die Schwelle für den Rechtsmissbrauch in Form eines „krassen Missverhältnisses“ der Interessen (bzw erst recht ein eindeutiges Überwiegen des unlauteren Motivs der Klägerin) ist nicht erreicht.

 

 

Link zum Entscheidungstext

 

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