EuGH-Urteil vom 13.5.2015, Rechtssache C‑516/13

Sachverhalt:

Die Unternehmensgruppe Knoll stellt hochwertige Möbel her und verkauft sie weltweit. Knoll vertreibt u.a. den Sessel „Wassily“ und den Tisch „Laccio“, die von Marcel Breuer entworfen wurden, sowie den Sessel, den Hocker, die Liege und den Tisch „Barcelona“, die Stühle „Brno“ und „Prag“ und den Sessel „Freischwinger“, die von Ludwig Mies van der Rohe entworfen wurden. Knoll ist für die Verwertung dieser in Deutschland geschützten Designs zur Geltendmachung der ausschließlichen urheberrechtlichen Ansprüche ihrer Muttergesellschaft ermächtigt.

Das italienische Unternehmen Dimensione vertreibt europaweit Designmöbel im Direktvertrieb und bietet auf ihrer Internetseite Möbel zum Erwerb an. In den Jahren 2005 und 2006 warb Dimensione auf ihrer in deutscher Sprache abrufbaren Internetseite, in verschiedenen deutschen Tageszeitungen und Zeitschriften sowie in einem Werbeprospekt für den Kauf von Möbeln, die geschützten Designs entsprechen, mit folgendem Hinweis: „Sie erwerben Ihre Möbel bereits in Italien, bezahlen aber erst bei Abholung oder Anlieferung durch eine inkassoberechtigte Spedition (wird auf Wunsch von uns vermittelt).

Knoll klagte daraufhin auf Unterlassung. Das LG Hamburg gab der Klage statt; der BGH unterbrach das Verfahren und legte dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Entscheidung:

Der EuGH führte zunächst aus, dass gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht verliehen wird,  die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten. Die Wendung „Verbreitung an die Öffentlichkeit … durch Verkauf“ in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 ist aus Sicht des EuGH gleichbedeutend mit der Formulierung „durch Verkauf … der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“ in Art. 6 Abs. 1 des WCT.

Unter Berücksichtigung dessen hat der EuGH klar festgestellt, dass die Verbreitung an die Öffentlichkeit durch eine Reihe von Handlungen gekennzeichnet ist, die zumindest vom Abschluss eines Kaufvertrags bis zu dessen Erfüllung durch die Lieferung an ein Mitglied der Öffentlichkeit reicht. Ein Händler ist daher für jede von ihm selbst oder für seine Rechnung vorgenommene Handlung verantwortlich, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ in einem Mitgliedstaat führt, in dem die in Verkehr gebrachten Waren urheberrechtlich geschützt sind. Eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebots oder eine zu nichts verpflichtende Werbung für einen Schutzgegenstand gehören ebenfalls zur Kette der Handlungen, mit denen der Verkauf dieses Gegenstands zustande kommen soll.

Das ausschließliche Verbreitungsrecht nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 kann nämlich verletzt sein, wenn ein Händler, der nicht Inhaber des Urheberrechts ist, geschützte Werke oder Vervielfältigungsstücke davon in den Verkehr bringt und über seine Internetseite, in Postwurfsendungen oder in Pressemedien an die Verbraucher in dem Mitgliedstaat, in dem die Werke geschützt sind, Werbung richtet, um sie zum Erwerb der Werke aufzufordern. Daraus folgt, dass es für die Feststellung einer Verletzung des Verbreitungsrechts unerheblich ist, dass auf diese Werbung nicht der Übergang des Eigentums an dem geschützten Werk oder seinen Vervielfältigungsstücken folgt.

Der EuGH kam daher zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG dahin auszulegen ist, dass der Inhaber des ausschließlichen Verbreitungsrechts an einem geschützten Werk Angebote zum Erwerb oder gezielte Werbung in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke des Werkes auch dann verbieten kann, wenn nicht erwiesen sein sollte, dass es aufgrund dieser Werbung zu einem Erwerb des Schutzgegenstands durch einen Käufer aus der Union gekommen ist, sofern die Werbung die Verbraucher des Mitgliedstaats, in dem das Werk urheberrechtlich geschützt ist, zu dessen Erwerb anregt.