OGH-Urteil vom 19.11.2014, 6 Ob 17/14i

Sachverhalt:

Im Juni 2010 strahlte der ORF im Rahmen des Mittagsjournals im Radio Niederösterreich ein Interview mit einem Landesgeschäftsführer einer politischen Partei aus, in welchem es um das Glücksspielgesetz ging.

Ein Glücksspielkonzern brachte aufgrund der Äußerungen Klage gem. § 1330 ABGB (Ehrenbeleidigung/Kreditschädigung) gegen diesen Politiker ein und obsiegte in diesem Verfahren. Der Politiker wurde zum Widerruf bestimmter Äußerungen und zu dessen Veröffentlichung in Radio Niederösterreich verurteilt. Der ORF war nicht Partei dieses Verfahrens. Nachdem der ORF die Veröffentlichung mit dem Hinweis abgelehnt hatte, dazu nicht verpflichtet zu sein, beantragte die Klägerin die Bewilligung der Exekution gegen den Politiker gem. § 353 EO. Diese Exekution wurde bewilligt und der Glücksspielkonzern ermächtigt, die Veröffentlichung des Widerrufs im Namen und auf Kosten des Politikers in Radio Niederösterreich vorzunehmen. Der ORF lehnte die Veröffentlichung jedoch erneut  ohne Angabe von Gründen ab.

Daraufhin klagte der Glücksspielkonzern den ORF auf Veröffentlichung des Widerrufs.

Entscheidung:

Das Erstgericht verpflichtete den ORF zur Veröffentlichung. Das Berufungsgericht hingegen wies die Klage ab.

Der OGH befand die dagegen erhobene Revision für berechtigt:

Zunächst verwies der OGH auf seine frühere Rechtsprechung, wonach keine (ausdrückliche gesetzliche) Verpflichtung des ORF zu derartigen Veröffentlichungen in welcher Sendung auch immer besteht, sodass der Geschädigte das Risiko dafür trage, dass die ihm zuerkannte Veröffentlichung im Fernsehen oder im Rundfunk mangels Bereitschaft des ORF unterbleibt. Nach § 5 Abs 6 ORF-G besteht lediglich eine Veröffentlichungsverpflichtung hinsichtlich behördlicher und privater (hier nicht einschlägiger) Aufrufe.

Der OGH unterzog seine frühere Rechtsansicht jedoch einer Überprüfung und kam schließlich unter Berücksichtigung des Objektivitätsgebots gem. § 4 Abs 5 ORF-G zu einem anderen Ergebnis:

Diese Bestimmung enthält inhaltliche Vorgaben für die Gestaltung der Programmsendungen durch den ORF, dem eine objektive, sachlich ausgewogene Berichterstattung auferlegt wird. Das Objektivitätsgebot verpflichtet den ORF dazu, die Pro- und Kontrastandpunkte voll zur Geltung kommen zu lassen. Eine selektive und unvollständige Informationsauswahl in einem Beitrag dadurch, dass Stellungnahmen eines Betroffenen nicht ausreichend wiedergegeben werden, ist deshalb mit dem Objektivitätsgebot nicht vereinbar. Eine einseitig verzerrte Darstellung kann aber nicht nur dann gegeben sein, wenn dem von bestimmten in einer Sendung gemachten Behauptungen Betroffenen keine Möglichkeit zur Gegendarstellung gegeben wird. Diese Darstellung bleibt jedenfalls dann einseitig, wenn eine sich zwischenzeitlich als unrichtig erwiesene Tatsachenbehauptung insofern gegenüber dem angesprochenen Publikum als „wahr“ aufrechterhalten wird, als dem Publikum die Möglichkeit vorenthalten wird, vom Widerruf Kenntnis zu nehmen, weil die Veröffentlichung der Verlesung des Widerrufs abgelehnt wird.

Im Ergebnis ist nicht von entscheidender Bedeutung, wie der verzerrte Eindruck, der als nicht mehr objektiv angesehen wird, entstanden ist. Die fehlende Möglichkeit zur ausreichenden Darstellung der eigenen Position wirkt sich für den Betroffenen in vergleichbarer Weise aus wie die Weigerung, einen Widerruf zu veröffentlichen.

Nach ständiger Rechtsprechung des OGH fällt selbst das bloße Weitergeben kreditschädigender Behauptungen eines Dritten, ohne sich mit dessen Äußerungen zu identifizieren, unter § 1330 ABGB. Nach § 1330 Abs 2 ABGB haftet, wer verursacht, dass die Tatsache einem größeren Kreis von Menschen bekannt wird.

Nach § 6 Abs 2 Z 4 MedienG liegt ein Rechtfertigungsgrund vor, wenn es sich um eine wahrheitsgetreue Wiedergabe der Äußerung eines Dritten handelt und ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis der zitierten Äußerung bestanden hat. Bei diesem Rechtfertigungsgrund sind aber auch die Interessen des Verletzten zu bedenken, die nach dem Willen des Gesetzgebers gegenüber dem Medieninhaber (Verleger) offenbar nur deshalb zurücktreten sollen, weil er sich immer noch gegen den Dritten zur Wehr setzen kann, dessen Äußerung, an deren Kenntnis ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit besteht, wahrheitsgetreu wiedergegeben wurde. Daraus folgt aber, dass jedenfalls dann, wenn der Verletzte für den Medieninhaber (Verleger) objektiv erkennbar auch gegen den Urheber der Äußerung schutzlos bliebe, der Rechtfertigungsgrund nicht zum Tragen kommen kann. Gerade diese Schutzlosigkeit der verletzten Klägerin wäre hier aber im Verhältnis zu dem Politiker gegeben.

Zusammenfassend wurde deshalb der ORF zur Veröffentlichung des Widerrufs im Mittagsjournal in Radio Niederösterreich verpflichtet, weil die von der Klägerin im Hauptverfahren inkriminierten Äußerungen in einer dieser Sendungen erfolgten und es dem ORF gesetzlich auferlegten Objektivitätsgebot widersprechen würde, könnten weder der Verletzer noch der Verletzte durchsetzen, dass der die Ehre oder den guten Ruf des Verletzten wiederherstellende Widerruf des Verletzers vom ORF auch tatsächlich in äquivalenter Weise gesendet wird.