OGH-Entscheidung vom 20.5.2020, 6 Ob 226/19g

 

Sachverhalt:

Die Beklagte bietet ihren Kunden Festnetz-Internet an. Zu den inkludierten Leistungen gehört die Bereitstellung von mehreren E-Mail-Adressen.

Die Klägerin ist u.a. als Journalistin tätig und veröffentlichte eine Kolumne in einer Tageszeitung. Als Reaktion darauf, wurde von einer bei der Beklagten registrierten E-Mail-Adresse eine E-Mail an mehrere  Medien gesendet. Den Text dieser E-Mail empfand die Klägerin als ehrenrührig und kreditschädigend. Anhand von Namensbestandteilen in der E-Mail-Adresse sowie der Nachricht, konnten im Melderegister Personen dieses Namens mit Hauptwohnsitz an derselben Adresse aufgefunden werden.

Die Klägerin forderte die Beklagte zunächst schriftlich auf, Vor- und Zunamen und Postanschrift der bei der Beklagten registrierten Inhaber der oben genannten E-Mail-Adresse bekannt zu geben. Die Beklagte lehnte die Herausgabe der Nutzerdaten ab. Die Klägerin wandte sich mit ihrem Auskunftsbegehren daher an das Erstgericht.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und ließ die Revision zu, da höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob der Betreiber eines Webmail-Dienstes der Auskunftspflicht des § 18 Abs 4 ECG unterliege. Der OGH befand die Revision der Klägerin für zulässig und auch berechtigt:

Ein Diensteanbieter im Sinn des § 3 Z 2 ECG ist eine natürliche oder juristische Person oder eine sonstige rechtsfähige Einrichtung, die einen Dienst der Informationsgesellschaft bereitstellt. Die Beklagte ist zweifelsfrei ein solcher Diensteanbieter. Das Gesetz unterscheidet in der Folge zwischen dem sogenannten Access-Provider (§ 13 ECG) und dem Host-Service-Provider (§ 16 ECG).

Für den vorliegenden Fall ist entscheidend, ob die in § 18 Abs 4 ECG für Diensteanbieter angeordnete Herausgabepflicht von Nutzerdaten auf die Beklagte zur Anwendung kommt. Gemäß § 18 Abs 4 ECG haben die in § 16 genannten Diensteanbieter auf Verlangen dritter Personen den Namen und die Adresse eines Nutzers zu übermitteln, sofern diese ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Feststellung der Identität eines Nutzers und eines bestimmten rechtswidrigen Sachverhalts haben sowie glaubhaft machen, dass die Kenntnis dieser Informationen eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet.

Der Auskunftsanspruch gegenüber Dritten gemäß § 18 Abs 4 ECG gilt nach dem Gesetzeswortlaut nur gegenüber den in § 16 ECG genannten Diensteanbietern, sohin gegenüber Host-Providern. Host-Provider ist nach dem Wortlaut des § 16 ECG ein Diensteanbieter, der von einem Nutzer eingegebene Informationen speichert. So ist etwa der Betreiber eines Online-Diskussionsforums – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 18 Abs 4 ECG – zur Herausgabe von Namen und Adresse jener Personen verpflichtet, die im Rahmen dieses Forums Beiträge „posten“. Der Auskunftsanspruch des § 18 Abs 4 ECG soll daher Personen, die durch rechtswidrige Tätigkeiten oder Informationen eines ihnen nicht bekannten Nutzers in ihren Rechten verletzt werden, und Verbänden oder Gesellschaften, die sich der Wahrung der Rechte bestimmter anderer Personen widmen, etwa Verbraucherverbänden oder Verwertungsgesellschaften, die Rechtsverfolgung erleichtern.

In der Literatur werden unterschiedliche Standpunkte dazu vertreten, ob allein die Speicherung für die Qualifikation als Host-Provider im Sinn des § 16 ECG ausreicht, oder ob es darüber hinaus auch der Eröffnung des Zugangs zu den gespeicherten Informationen an Dritte bedarf.

Im Hinblick auf Diensteanbieter, die Nutzern bloß im Sinn des § 13 ECG den Zugang zu einem Kommunikationsnetzwerk eröffnen, erweist sich das ECG als lückenhaft. Denn auch die Bereitstellung eines Webmail-Dienstes zielt darauf ab, Dritten (den Empfängern) die vom Nutzer eingegebenen Inhalte zugänglich zu machen, wodurch es zu Rechtsverletzungen kommen kann. In einem solchen Fall bestünde ohne einen Auskunftsanspruch ein Rechtsschutzdefizit des Verletzten.

Der OGH stellte daher das Urteil des Erstgerichts wieder her, wonach die Beklagte rechtlich als Host-Provider im Sinn des § 16 ECG zu qualifizieren ist, weil sie einen E-Mail-Server bereitstellt und die Daten bis zum Abruf der E-Mail speichert. Daher besteht der Auskunftsanspruch nach § 18 Abs 4 ECG zu Recht.

Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass die begehrte Auskunft eine wesentliche Voraussetzung für die in Aussicht genommene Rechtsverfolgung bildet. Auch die Existenz von Personen eines bestimmten Namens im Melderegister lässt keinen verlässlichen Schluss darauf zu, ob diese hinsichtlich des konkreten Webmail-Zugangs verfügungsberechtigt waren.