Im Juli 2010 strahlte der ORF einen einschlägigen TV-Beitrag aus. Einleitend wurde die bisherige Historie zum möglichen Missbrauchsfall des Sohnes kurz vorgestellt. Zu Beginn des folgenden Berichts wurde ein (geschnittenes) Interview mit der damaligen Untersuchungsrichterin eingeblendet, das folgendermaßen angekündigt wurde:
„Sie kennt den Fall ganz genau und kann sich auch sehr gut daran erinnern: Die ehemalige *****-Politikerin hat als Untersuchungsrichterin damals in den 90er-Jahren auch den aktuellen Fall in Strebersdorf zu behandeln gehabt.“
Während des Interviews wurde die ehemalige Untersuchungsrichterin mit dem Textinsert „*****, ehemalige U-Richterin“ eingeblendet.
Das Interview hatte folgenden Inhalt:
Fragesteller: „Wundert es Sie, dass das jetzt genau wieder auftaucht?“
Ehem. Untersuchungsrichterin: „Ich glaube, dass viele Leute versuchen, sich da eine gewisse Entschädigung in Geldform zu verschaffen, und glauben, dass sie jetzt entschädigt werden für verschiedene Dinge, egal wie sie passiert sind.“
Fragesteller: „***** hat den Fall nach einigem Hin und Her einstellen lassen. Sie steht noch heute dazu.“
Ehem. Untersuchungsrichterin: „Ich habe sehr genau geprüft, habe etliche Zeugen einvernommen und ich glaube, das kann ich sagen, ohne dass ich meiner Amtsverschwiegenheit widerspreche, dass die Mutter nach der Einvernahme Behauptungen aufgestellt hat, die ganz einfach nicht der Wahrheit entsprachen.“
Die Mutter brachte daraufhin Klage ein und begehrte, die Beklagte zu verpflichten, die Verbreitung unwahrer und ehrenbeleidigender Behauptungen über die Klägerin im Zusammenhang mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs an ihrem Sohn zu unterlassen, sowie zum Widerruf dieser Behauptungen und dessen Veröffentlichung zu verurteilen.
Die Beklagte wendete die Unzulässigkeit des Rechtswegs ein. Sie sei Richterin im dauernden Ruhestand und habe die inkriminierten Äußerungen in ihrer Eigenschaft als für ein bestimmtes Verfahren zuständige Untersuchungsrichterin abgegeben.
Entscheidung:
Der OGH sah es als entscheidend für die Zulässigkeit des Rechtswegs an, ob die Beklagte, eine seit dem Jahr 2000 im Ruhestand befindliche Richterin, zum Zeitpunkt der Abgabe der inkriminierenden Äußerungen im Jahr 2010 als Organ des Bundes tätig war.
Auch im Ruhestand bleiben einige der Pflichten des Richters aufrecht. So hat ein Richter im Ruhestand das Standesansehen angemessen zu wahren und ist weiterhin zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet. Sonst sieht das Gesetz keine weitere Aufgaben und Pflichten vor. Im Ruhestand befindliche Richter unterliegen wegen eines im aktiven Dienstverhältnis begangenen Dienstvergehens oder grober Verletzung der ihnen nach diesem Bundesgesetz im Ruhestand obliegenden Verpflichtungen der disziplinären Verantwortlichkeit.
Das alles bedeutet aber nicht die Fortdauer ihrer mit der Ernennung zum Richter erlangten Stellung als Organ, das in Vollziehung der Gesetze hoheitlich handelt. Nach seiner Versetzung in den Ruhestand ist ein Richter nicht mehr befugt, weiterhin in seiner bisher ausgeübten hoheitlichen Funktion für die Justiz tätig zu werden.
Gibt demnach ein Richter nach Versetzung oder Übertritt in den Ruhestand (hier noch dazu ein Jahrzehnt später) ein Interview, das sich auf seine richterliche Tätigkeit während des aktiven Diensts bezieht, so äußert er sich als Privatperson und nicht als Organ. Als solche kann er auf Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs geklagt werden, der Schutz des § 9 Abs 5 AHG kommt ihm nicht zugute.