OGH-Entscheidung vom 29.8.2019, 3 Ob 135/19b

 

Sachverhalt:

Der verpflichteten Partei wurde per einstweiliger Verfügung verboten, die Ausübung des Stimmrechts der betreibenden Partei bei Beschlussfassungen in Generalversammlungen einer GmbH zu beeinträchtigen.

Die einstweilige Verfügung wurde dem Rechtsanwalt der verpflichteten Partei im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs an einem Freitag zugestellt, wobei erst der folgende Werktag (Montag) Zustellzeitpunkt nach § 89d Abs 2 GOG ist. Zusätzlich faxte das Gericht die einstweilige Verfügung dem Rechtsvertreter des Verpflichteten am Freitag. Im Verfahren war unstrittig, dass sowohl Rechtsanwalt als auch verpflichtete Partei am Freitag Kenntnis von der einstweiligen Verfügung erlangten. Dennoch verstieß die verpflichtete Partei noch am Freitag gegen die einstweilige Verfügung.

Aufgrund dieser Zuwiderhandlungen beantragte die betreibende Partei die Bewilligung der Unterlassungsexekution nach § 355 EO sowie wegen der Zuwiderhandlungen von Freitag und Montag die Verhängung zweier Geldstrafen.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht bewilligte wegen des Verstoßes vom Freitag die Exekution und verhängte eine Geldstrafe. Das Mehrbegehren, eine Geldstrafe auch wegen des behaupteten Verstoßes vom Montag zu verhängen, wies es ab. Das Rekursgericht bestätigte den abweisenden Teil der Entscheidung, bewilligte die Exekution wegen des behaupteten Verstoßes vom Freitag jedoch nicht.

Der OGH befand den Revisionsrekurs der betreibenden Partei hinsichtlich des behaupteten Verstoßes vom Freitag für zulässig, aber nicht berechtigt. Aus der Begründung:

Da eine einstweilige Verfügung mit der Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung an den Gegner der gefährdeten Partei wirksam wird, ist sie jedenfalls ab diesem Zeitpunkt zu befolgen und vollstreckbar. Als Zustellzeitpunkt elektronisch übermittelter gerichtlicher Erledigungen gilt der auf das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgende Werktag, wobei Samstage nicht als Werktage gelten (§ 89d Abs 2 GOG).

Bis zur Neufassung des § 89d Abs 2 GOG erfolgten die Zustellungen im elektronischen Rechtsverkehr nur einmal täglich gebündelt, und zwar erst kurz nach Mitternacht. Seit der GOG-Novelle 2012 erfolgen jedoch die Zustellungen im ERV (wie im E-Mail-Verkehr üblich) regelmäßig. § 89d Abs 2 GOG idgF soll deshalb nur eine mögliche Benachteiligung von ERV-Teilnehmern durch allfällige elektronische Zustellungen zu einer Zeit, in der die Kanzlei des Empfängers nicht mehr besetzt ist (wie etwa in den späten Abendstunden), verhindern.

Im Anlassfall gilt daher der Montag als Zeitpunkt der Zustellung im Sinne des § 89d Abs 2 GOG.

Die Entscheidung stand jedoch bereits am Freitag im elektronischen Verfügungsbereich des Rechtsanwalts der Verpflichteten und die Verpflichtete erlangte von der Entscheidung auch Kenntnis.

Gemäß früherer Rechtsprechung des OGH kommt es auf den (fiktiven) Zustellzeitpunkt des § 89d Abs 2 GOG dann nicht mehr an, wenn die Entscheidung in den elektronischen Verfügungsbereich des anwaltlichen Vertreters gelangt ist und die Partei davon Kenntnis erlangt hat.

Denn mit der Bestimmung des § 89d Abs 2 GOG soll (nur) sichergestellt werden, dass Parteien, denen im Wege des ERV zuzustellen ist, jedenfalls die volle Frist für befristete Prozesshandlungen zur Verfügung steht. Im Anlassfall kam es aber nicht auf die Wahrung einer Frist an.

Die verpflichtete Partei hatte die einstweilige Verfügung daher schon am Freitag zu befolgen.

Der OGH hielt es für bedenklich, wenn das Zustellrecht den Zweck einer einstweiligen Verfügung vereiteln und Schutzlücken öffnen könnte. Zusammenfassend hielt er fest, dass die Verpflichtete die einstweilige Verfügung (bereits) zu befolgen hatte, als diese in den elektronischen Verfügungsbereich ihres anwaltlichen Vertreters gelangt war und sie selbst vom Inhalt der Entscheidung Kenntnis erlangt hatte.

Die Exekution wegen des behaupteten Verstoßes am Freitag bewilligte der OGH dennoch nicht, da der Titel zu unbestimmt war und daher keine Grundlage für eine Exekutionsbewilligung nach § 355 EO bilden konnte.

Bezüglich des behaupteten Verstoßes am Montag war das Rechtsmittel absolut unzulässig, da die Vorinstanzen den Strafantrag übereinstimmend abgewiesen hatten.