EuGH-Urteil vom 20. Juli 2017, Rechtssache C‑93/16

Sachverhalt:

Das klagende irische Unternehmen vermarktet insbesondere Butter und andere Milchprodukte. Sie ist Inhaberin mehrerer Unionsmarken, darunter der Wortmarke KERRYGOLD, die im Jahr 1998 angemeldet wurde. In der EU werden diese Waren hauptsächlich in Spanien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Irland, Griechenland, Frankreich, Zypern, Luxemburg, Malta, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich verkauft.

Bei der Beklagten handelt es sich um eine Gesellschaft spanischen Rechts, die unter dem Zeichen KERRYMAID Margarine nach Spanien einführt und dort vertreibt. Die Margarine wird in Irland von der Kerry Group plc hergestellt. Kerry Group ließ in Irland und im Vereinigten Königreich die nationale Marke KERRYMAID eintragen.

Die Klägerin erhob eine Klage auf Feststellung, dass die Beklagte die Rechte aus den Unionsmarken KERRYGOLD insoweit verletzt, als sie unter dem Zeichen KERRYMAID Margarine nach Spanien einführt und dort vertreibt. Die Benutzung des Zeichens KERRYMAID führe zu einer Verwechslungsgefahr und nutze die Unterscheidungskraft und die Wertschätzung der Marken ohne rechtfertigenden Grund aus.

Zwischen den Parteien war unstrittig, dass die Unionsmarken KERRYGOLD und die nationale Marke KERRYMAID in Irland und im Vereinigten Königreich friedlich nebeneinander existierten. Das erstinstanzlich zuständige Gericht folgerte daraus, dass in Spanien zwischen den Unionsmarken KERRYGOLD und dem Zeichen KERRYMAID keine Verwechslungsgefahr bestehen könne. Da Irland und das Vereinigte Königreich zusammen ein bedeutendes demografisches Gewicht in der Union hätten, müsse nämlich die friedliche Koexistenz zwischen diesen Marken und diesem Zeichen in diesen beiden Mitgliedstaaten angesichts des einheitlichen Charakters der Unionsmarke zum Ergebnis haben, dass zwischen den Marken und dem Zeichen in der gesamten Union keine Verwechslungsgefahr bestehe.

Nach Ausschöpfung des nationalen Instanzenzugs wurde der Streitfall dem EuGH vorgelegt.

Entscheidung:

Mit seiner ersten Frage wollte das vorlegende Gericht wissen, ob aus der Tatsache, dass in einem Teil der Union eine Unionsmarke und eine nationale Marke friedlich nebeneinander existieren, die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass in einem anderen Teil der Union, in dem die Unionsmarke und das als nationale Marke eingetragene Zeichen nicht friedlich nebeneinander existieren, zwischen der Unionsmarke und diesem Zeichen keine Verwechslungsgefahr besteht.

Der EuGH führte dazu aus, dass der Schutz, der einem Unionsmarkeninhaber verliehen wird, darin besteht, es diesem in der gesamten Union zu gestatten, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein identisches oder ähnliches Zeichen für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn dadurch die herkunftshinweisende Funktion der Marke beeinträchtigt wird oder werden könnte und folglich Verwechslungsgefahr entsteht. Möchte sich der Unionsmarkeninhaber auf dieses Recht berufen, ist es keineswegs erforderlich, dass die Benutzung des identischen oder ähnlichen Zeichens, die zu einer Verwechslungsgefahr führt, in der gesamten Union erfolgt. Daher liegt eine Verletzung des durch die Marke verliehenen ausschließlichen Rechts vor, wenn die Benutzung eines Zeichens in einem Teil der Union zur Gefahr von Verwechslungen mit einer Unionsmarke führt, während sie in einem anderen Teil der Union keine solche Gefahr hervorruft.

In Anbetracht dieser Erwägungen beantwortete der EuGH die erste Vorlagefrage dahingehend, dass nicht die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass hier keine Verwechslungsgefahr besteht.

Die zweite Vorlagefrage beantwortete der EuGH dahingehend, dass das mit einer Verletzungsklage befasste Unionsmarkengericht die Umstände, die seiner Auffassung nach für die Beurteilung der Frage relevant sind, ob der Inhaber einer Unionsmarke die Benutzung eines Zeichens in einem von der Klage nicht erfassten Teil der Europäischen Union untersagen kann, für die Beurteilung der Frage berücksichtigen darf, ob dieser Inhaber die Benutzung des Zeichens in dem Teil der Union untersagen kann, der von der Klage erfasst ist, sofern die Marktbedingungen und die soziokulturellen Umstände in den beiden Teilen der Union nicht deutlich voneinander abweichen.

Mit seiner dritten Frage wollte das vorlegende Gericht wissen, ob der erweiterte Schutz nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der VO 207/2009 dahin auszulegen ist, dass aus der Tatsache, dass in einem Teil der Union eine bekannte Unionsmarke und ein Zeichen friedlich nebeneinander existieren, angesichts des einheitlichen Charakters der Unionsmarke die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass in einem anderen Teil der Union, in dem es diese friedliche Koexistenz nicht gibt, ein rechtfertigender Grund für die Benutzung dieses Zeichens besteht.

Der EuGH führte dazu aus, dass der erweiterte Schutz, der Inhabern bekannter Unionsmarken gewährt wird, darin besteht, es Dritten zu verbieten, ohne ihre Zustimmung und ohne rechtfertigenden Grund im geschäftlichen Verkehr ein identisches oder ähnliches Zeichen zu benutzen – unabhängig davon, ob die Waren oder Dienstleistungen, für die es benutzt wird, denjenigen, für die diese Marken eingetragen sind, ähnlich sind –, wenn diese Benutzung die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Marken in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt. (Im vorliegenden Fall wurde nicht bestritten, dass die Unionsmarken KERRYGOLD bekannt im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 sind.)

Folglich darf sich das mit der Verletzungsklage befasste Unionsmarkengericht im vorliegenden Fall nicht damit begnügen, dass es mit der friedlichen Koexistenz der Unionsmarken KERRYGOLD und der fraglichen nationalen Marke in Irland und im Vereinigten Königreich einen rechtfertigenden Grund für die Benutzung des Zeichens KERRYMAID in diesen beiden Mitgliedstaaten gibt, um darauf seine Beurteilung zu stützen, sondern muss vielmehr eine umfassende Beurteilung aller relevanten Umstände vornehmen.

Somit antwortete der EuGH auf die dritte Frage, dass aus der Tatsache, dass in einem Teil der Europäischen Union eine bekannte Unionsmarke und ein Zeichen friedlich nebeneinander existieren, nicht die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass in einem anderen Teil der Union, in dem es diese friedliche Koexistenz nicht gibt, ein rechtfertigender Grund für die Benutzung dieses Zeichens besteht.