OGH-Entscheidung vom 15.12.2015, 4 Ob 202/15g

Sachverhalt:

Die Westbahn warb mit einer sogenannten „Kilometerbank“, im Rahmen derer zwischen 1.000 und 10.000 Kilometern zu einem jeweils fixen Preis elektronisch gekauft werden konnten.

Der VKI klagte auf u.a. auf Unterlassung.

Der Westbahn solle die Erweckung des unrichtigen Eindrucks untersagt werden, sie biete mit dem Erwerb der Kilometerbank „bestimmte Streckenlängen zum Kauf auf Vorauszahlung“ an, etwa durch Ankündigungen wie „Mit der Kilometerbank kaufen Sie Zugkilometer im Voraus“, wenn sie sich die Erhöhung der für bestimmte Strecken definierten notwendigen Kilometer vorbehalte. Die Angaben zur Kilometerbank seien irreführend, weil sie den Eindruck erweckten, dass ein Kunde dabei ein Guthaben für eine bestimmte Fahrstrecke erwerbe. Die Westbahn rechne aber das für die Kilometerbank geleistete Kaufentgelt nur auf den im Zeitpunkt der tatsächlichen Leistung jeweils aktuellen Streckenpreis an. Der Kunde leiste somit nur eine Vorauszahlung auf einen im Kaufzeitpunkt noch nicht definierten Fahrpreis, was sich aus den Ausführungen auf der Website für einen durchschnittlichen Verbraucher nicht erschließe.

Daneben beanstandete der VKI einige Klauseln aus den „Allgemeinen Tarifbestimmungen“.

Entscheidung:

Erst- und Berufungsgericht gaben dem Unterlassungsbegehren Folge. Auch der OGH bestätigte diese Rechtsansicht:

Ein durchschnittlich informierter und verständiger Interessent für derartige Bahnreisen bzw ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Kreise wird die Aussagen der beklagten Partei zur Kilometerbank dahin verstehen, dass definierten Fahrtstrecken eine bestimmte Anzahl von Kilometer-Einheiten zugeordnet wird. Das wird insbesondere durch die mehrmalige Verwendung des Wortes „Kilometer“ deutlich (Kilometerbank, Zugkilometer, Anzahl an Kilometern, Kilometerguthaben). Darin wird ein Verbraucher in erster Linie einen Hinweis auf eine damit erworbene Beförderungsleistung des beklagten Bahnunternehmens sehen.

Dieses Verständnis entspricht nicht den Tatsachen, weil lediglich eine Vorauszahlung erfolgt, die in die Gegenleistung der beklagten Partei zum dann aktuellen Preis umgewandelt wird, was dazu führen kann, dass die erworbene Kilometeranzahl nicht der später konsumierten Leistung entspricht.

Der OGH bejahte auch die Frage, ob die unrichtigen Angaben geeignet waren, den Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte.

Zwischen den Vorstellungen der angesprochenen Verkehrskreise und dem Entschluss, sich mit dem Angebot näher zu befassen, insbesondere zu kaufen, muss ein innerer Zusammenhang bestehen. Die wettbewerbsrechtliche Relevanz der Irreführungseignung ist schon dann zu bejahen, wenn die unrichtige Angabe den Durchschnittsverbraucher dazu veranlassen kann, sich näher mit dem Angebot des Unternehmers zu befassen. Gerade der Preis ist eines der wesentlichsten Kriterien für die Entscheidung eines Konsumenten. Eine Relevanz der Irreführung ist hier daher schon deshalb zu bejahen, weil für Konsumenten eine mit einem Rabatt verbundene fix zugesagte Kilometerleistung eines Bahnunternehmens Anreiz für geschäftliche Entscheidungen sein kann. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass ein Verbraucher dieselbe Entscheidung trifft, wenn ihm bewusst ist, dass die Gegenleistung von der beklagten Partei nachträglich noch reduziert werden kann.

Die (potenzielle) Relevanz der aufgezeigten Irreführung wurde daher vom OGH bejaht. Dazu kam eine über den Einzelfall hinausgehende Erwägung: Einem Unternehmen kann im Regelfall nicht unterstellt werden, eine von vornherein unwirksame Werbung zu betreiben, also letztlich unsinnige Ankündigungen zu machen.

Daneben wurden folgende Klauseln aus den  „Allgemeinen Tarifbestimmungen“ für unzulässig erklärt:

  • „Für alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit diesen Beförderungsbedingungen, die sich aus der Beförderung ergeben, ist als ausschließlicher Gerichtsstand das sachlich zuständige Gericht in Wien vereinbart.“
  • „Die Westbahn behält sich vor, die oben genannten Tarifbestimmungen im Bedarfsfall abzuändern.“  Dieser Klausel fehlt es an jeglicher Konkretisierung. § 6 Abs 2 Z 3 KSchG schränkt die Zulässigkeit einseitiger Leistungsänderungen durch den Unternehmer ein, die nicht im Einzelnen ausgehandelt worden sind. Danach sind Vertragsbestimmungen nicht verbindlich, nach denen der Unternehmer eine von ihm zu erbringende Leistung einseitig ändern oder von ihr abweichen kann, es sei denn, die Änderung bzw Abweichung ist dem Verbraucher zumutbar, besonders weil sie geringfügig und sachlich gerechtfertigt ist.
  • „Das Tarifkilometerguthaben ist 24 Monate ab Kaufdatum gültig.“ Obwohl einem Unternehmen grundsätzlich ein Interesse zuzubilligen sei, innerhalb eines überblickbaren Zeitraums auch Klarheit über die von ihm zu erbringenden Leistungen zu erlangen, ist eine derartige massive Verkürzung der Verjährungsfrist von dreißig auf zwei Jahren nicht gerechtfertigt.
  • „Eine Erstattung der Kilometerbank nach erstmaliger Inanspruchnahme ist nicht möglich.“ Es ist gröblich benachteiligend, wenn die Westbahn selbst dann, wenn ein Großteil des Guthabens unverbraucht verfiele, keinerlei Rückerstattung leisten müsste. Der von der klagenden Partei befürchtete Missbrauch durch Umgehung des inhärenten Rabattsystems rechtfertige nicht den Ausschluss jeglicher – auch nur teilweiser – Erstattungsmöglichkeit. Die gröbliche Benachteiligung liegt insbesondere darin, dass die Erstattung bedingungslos ausgeschlossen wird.