OGH-Entscheidung vom 27.8.2024, 6 Ob 233/23t

 

Sachverhalt:

Der Kläger wurde infolge eines Arbeitsunfalls in einer Krankenanstalt stationär behandelt. Ihm wurde ein Patientenbrief ausgehändigt. Der Klagevertreter ersuchte das Spital schriftlich unter Bezugnahme auf die DSGVO um die kostenlose Übermittlung der gesamten Krankengeschichte an seine E-Mail-Adresse. Dieses antwortete, dass die Übermittlung der Krankengeschichte von der Einzahlung eines Kostenbeitrags abhänge. Der Kläger zahlte den Kostenbeitrag nicht; die Beklagte übermittelte dem Kläger die Krankengeschichte nicht.

Der Kläger begehrte schließlich vor Gericht, die Beklagte zu verpflichten, ihm kostenlos „die Krankengeschichte“ über seinen stationären Aufenthalt sowie allfälliger Nachbehandlungen und Kontrollen herauszugeben. Der Anspruch ergebe sich aus Art 15 Abs 3, Art 12 Abs 5 DSGVO.

 

Entscheidung:

Im ersten Rechtsgang gab das Erstgericht der Klage statt. Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Der OGH wies das Verfahren an das Erstgericht zurück. Das Erstgericht solle Feststellungen zum wirtschaftlichen Aufwand, der mit der Auskunftserteilung verbunden ist, treffen.

Bis zum Vorliegen der nun aktuellen Entscheidung des OGH hatte der EuGH bereits über das Recht auf eine kostenlose Erstkopie der Krankengeschichte entschieden. Der EuGH stellte dort klar, dass die wirtschaftlichen Interessen behandelnder Ärzte, die durch eine Kostentragungsregel für die Zurverfügungstellung einer ersten Kopie der Patientenakte geschützt werden sollen, nicht unter die nach Art 23 Abs 1 lit i DSGVO geschützten „Rechte und Freiheiten“ anderer Personen fallen, weil sie nicht über rein administrative oder wirtschaftliche Erwägungen hinausgehen. Diese Aussage ist für Art 23 Abs 1 lit e DSGVO nicht unmittelbar einschlägig, weil das Beschränkungsziel der lit e ausdrücklich den Schutz wirtschaftlicher und finanzieller Interessen erlaubt.

Im vorliegenden Fall hatte der OGH daher zu prüfen, ob die Bestimmung des § 17 Abs 2 lit g WrKAG, die darauf abzielt, die wirtschaftliche Belastung von Krankenanstalten durch die Herstellung von Kopien der von ihnen verarbeiteten Daten zu verringern, das Recht auf Erhalt einer kostenlosen ersten Kopie der Krankengeschichte nach Art 23 Abs 1 lit e DSGVO zulässigerweise einschränkt.

Im Verfahren wurde eine finanzielle Belastung von rund 1,3 Millionen EUR für die Herstellung von Kopien von Krankengeschichten in allen von der Beklagten betriebenen Einrichtungen festgestellt.  Der Großteil davon entfällt aber auf Fälle, in denen die Verrechnung eines Kostenbeitrags nach § 17 Abs 4 WrKAG ausgeschlossen ist. In diesem Umfang ist das in Art 12 Abs 5 iVm Art 15 Abs 3 DSGVO verankerte Recht auf eine kostenlose erste Datenkopie nicht durch Rechtsvorschriften iSd Art 23 DSGVO eingeschränkt. Es handelt sich vielmehr um eine finanzielle Belastung, die die beklagte Gebietskörperschaft unabhängig von der hier zu prüfenden Einschränkung der Unentgeltlichkeit zu tragen hat. Auch bei einer Vervielfachung dieses Aufwands lägen die Kosten für die Zurverfügungstellung einer kostenlosen Erstkopie noch unter einem Prozent der gesamten Verwaltungskosten.

Zwar ist durch die kostenlose Übermittlung an den einweisenden oder weiterbehandelnden Arzt grundsätzlich dafür vorgesorgt, diesem die notwendigen Informationen für die an einen stationären Aufenthalt anschließende Behandlung zu verschaffen. Eine kostenlose Übermittlung an den Patienten selbst sieht § 17 Abs 4 WrKAG allerdings gar nicht vor. Es sind aber Konstellationen denkbar, in denen ein Patient die ihn betreffenden Informationen selbst zur Verfügung haben will, etwa um eine weitere fachliche Meinung einzuholen.

Im Ergebnis befand der OGH, dass das Recht auf Zurverfügungstellung einer kostenlosen Erstkopie der Krankengeschichte durch § 17a Abs 2 lit g WrKAG in einer nach Art 23 DSGVO unverhältnismäßigen und daher unzulässigen Weise eingeschränkt wird. Die in dieser Bestimmung angeordnete Kostenersatzpflicht hat – als der DSGVO entgegenstehendes nationales Recht – unangewendet zu bleiben.

Der OGH stellte das klagestattgebende Urteil des Erstgerichts wieder her. Der Kläger hatte das Recht, eine Erstkopie seiner Krankengeschichte ohne Zahlung eines Kostenbeitrags zu erhalten.

 

 

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