VfGH-Entscheidung: VfGH 14. 3. 2013, B 518/12

Sachverhalt: Ein stellvertretende Chefredakteur, der die Funktion „Chef vom Dienst“ ausübte, richtete an die journalistischen Mitarbeiter des ORF-Landesstudios folgende Rundmail: „Im Zusammenhang mit dem Attentäter von Norwegen ist jetzt in den Agenturmeldungen die Formulierung aufgetaucht, es handle sich vermutlich um einen Rechtsextremisten und ‚christlichen Fundamentalisten‘. Das Wort ‚christlich‘ und den Mord an mehr als 90 Menschen in einem Atemzug zu nennen – da empfinden wohl die meisten einen deutlichen Widerspruch. Hier sollten wir bei der Formulierung besonders sensibel vorgehen, diesen äußerst unchristlich agierenden Mann eventuell als ‚religiösen Fanatiker‘ bezeichnen oder uns va auf die überwiegend verwendete Einordnung als ‚Rechtsextremisten‘ beschränken. …“

Entscheidung: Die Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria) stellte in ihrem Bescheid zunächst fest, dass der ORF durch dieses Rundmail die durch § 32 Abs 1 ORF-G gewährleistete Freiheit der journalistischen Berufsausübung verletzt habe.

Zu einer anderen Entscheidung gelangte jedoch der VfGH, der aussprach, dass der ORF durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit verletzt worden ist. In seiner Begründung hielt der VfGH fest, dass der E-Mail-Verfasser auf Grundlage der Annahme einer unsicheren Tatsachenlage eine Empfehlung abgegeben hat und der ORF es in seiner Berufung nachvollziehbar dargetan hat, weshalb es angebracht gewesen sei, die betreffende Formulierung zu hinterfragen, und dabei ua angeführt, dass die Quellenlage für die Formulierung unklar gewesen sei.

Der VfGH kam zum Ergebnis, dass die Komm Austria bei verfassungskonformem Verständnis des § 32 Abs 1 ORF-G nicht davon ausgehen konnte, dass die Aufforderung durch den für die Sendung verantwortlichen Redakteur, eine bestimmte Formulierung nicht zu verwenden, die Freiheit der journalistischen Mitarbeiter in einem Ausmaß beeinträchtigt hätte, das die Feststellung einer Verletzung des ORF-G rechtfertigen würde. Die Verletzung des § 32 Abs 1 ORF-G bedeute unter diesen Umständen eine Verletzung des Art 10 EMRK iVm dem Art I Abs 2 BVG Rundfunk (Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit ).