EuGH-Urteil vom 22.10.2015, Rechtssache C‑20/14

Sachverhalt:

Die Inhaberin folgender deutscher Wort-Bild-Marke für Waren und Dienstleistungen der Klassen 16, 35 und 41

BGW

 

 

erhob Widerspruch gegen die jüngere Wortmarke „BGW Bundesverband der deutschen Gesundheitswirtschaft“ für Waren und Dienstleistungen der Klassen 16, 35, 41 und 43.

Das Deutsche Patent- und Markenamt gab dem Widerspruch teilweise statt und löschte die jüngere Marke wegen einer zwischen den beiden einander gegenüberstehenden Marken bestehenden Verwechslungsgefahr teilweise.

Das Bundespatentgericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vor, ob Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 dahin auszulegen ist, dass bei identischen oder ähnlichen Waren und Dienstleistungen für die maßgeblichen Verkehrskreise eine Verwechslungsgefahr zwischen einer älteren Marke – die aus einer unterscheidungskräftigen, diese durchschnittlich kennzeichnungskräftige Marke prägenden Buchstabenfolge besteht – und einer jüngeren Marke – in die diese Buchstabenfolge unter Hinzufügung einer beschreibenden Wortkombination übernommen ist, die sich aus Wörtern zusammensetzt, deren Anfangsbuchstaben den Buchstaben der genannten Buchstabenfolge entsprechen, so dass diese von diesen Verkehrskreisen als Akronym dieser Wortkombination wahrgenommen wird – bestehen kann.

Entscheidung:

Der EuGH bejahte die Vorlagefrage. Aus der Begründung:

Der gemeinsame Bestandteil der einander gegenüberstehenden Marken ist bei der Beurteilung der Ähnlichkeit dieser Marken zu berücksichtigen, auch wenn er nicht als den Gesamteindruck dominierend angesehen werden kann, soweit er selbst die ältere Marke bildet und eine selbständig kennzeichnende Stellung in der u. a. aus diesem Bestandteil zusammengesetzten angemeldeten Marke behält. Wenn nämlich ein gemeinsamer Bestandteil in dem zusammengesetzten Zeichen eine selbständig kennzeichnende Stellung behält, kann der von diesem Zeichen hervorgerufene Gesamteindruck die Verkehrskreise zu der Annahme veranlassen, dass die fraglichen Waren oder Dienstleistungen zumindest aus wirtschaftlich verbundenen Unternehmen stammen, was dann dazu führen muss, das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr zu bejahen.

Der EuGH stellte jedoch auch klar, dass ein Bestandteil eines zusammengesetzten Zeichens keine solche selbständig kennzeichnende Stellung einnimmt, wenn dieser Bestandteil mit dem oder den anderen Bestandteilen des Zeichens in der Gesamtbetrachtung eine Einheit bildet, die einen anderen Sinn als diese Bestandteile einzeln betrachtet hat

Grundsätzlich kann selbst ein Bestandteil, der nur eine schwache Kennzeichnungskraft besitzt, den Gesamteindruck einer zusammengesetzten Marke prägen oder innerhalb dieser Marke eine selbständig kennzeichnende Stellung einnehmen, da er sich insbesondere durch seine Position im Zeichen oder durch seine Größe der Wahrnehmung des Verbrauchers aufdrängen und in sein Gedächtnis einprägen kann.

Im vorliegenden Fall ist es Sache des Bundespatentgerichts, insbesondere mittels einer Analyse der Bestandteile der jüngeren Marke den von dieser Marke hervorgerufenen Gesamteindruck, der dem Verbraucher im Gedächtnis bleibt, zu bestimmen, und anschließend im Licht dieses Gesamteindrucks und sämtlicher maßgeblicher Umstände des Einzelfalls die Verwechslungsgefahr zu beurteilen.

Der bloße Umstand, dass die jüngere Marke eine Buchstabenfolge wiedergibt und aus einer Wortkombination besteht, deren Anfangsbuchstaben dieser Buchstabenfolge entsprechen, kann für sich allein die Gefahr einer Verwechslung mit dieser älteren Marke nicht ausschließen.