OGH-Entscheidung vom 26.1.2021, 4 Ob 188/20f

 

Sachverhalt:

Die Klägerin entwickelt und produziert Maschinen und Fahrzeuge für den Bau und die Instandhaltung von Bahngleisen und Oberleitungen. Zwei langjährige Mitarbeiter gründeten ein Unternehmen, das die Herstellung und den Vertrieb von Gleisbaumaschinen zum Unternehmensgegenstand hat und daher mit der Klägerin in einem Wettbewerbsverhältnis steht.

Zu den Produkten der Streitteile gehören unter anderem sogenannte Stopfaggregate. Während die Klägerin für den Antrieb seit jeher eine Exzenterwelle verwendet, hat die Erstbeklagte einen neuartigen rein hydraulischen Stopfantrieb entwickelt und als sogenannte „Flüsteraggregat“ auf den Markt gebracht.

Spätestens ein halbes Jahr vor der Unternehmensgründung waren die beiden (früheren) Mitarbeiter nicht mehr loyal zu ihrer damaligen Arbeitgeberin, sondern hatten bereits Pläne für ihr eigenes Unternehmen. Sie sammelten dafür auch Daten der Klägerin und kopierten diese. So gelangten sie auch an Kopien der Konstruktionspläne für die klagsgegenständlichen Bauteile (Pickelarm, Schwenklager und Pickelhalterung). Sehr viele Informationen der Konstruktionszeichnungen der Klägerin sind aus öffentlich zugängigen Informationsquellen ableitbar, jedoch nicht alle.

Die Klägerin klagte die ehemaligen Mitarbeiter und das neu gegründete Unternehmen auf Unterlassung. Diese sollten es unterlassen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Klägerin zu verwerten.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Revision der Klägerin, die der OGH zwar für zulässig, jedoch nicht berechtigt befand.

Nach § 26b Abs 1 UWG ist ein Geschäftsgeheimnis eine Information, die (kumulativ) geheim ist, weil sie weder in ihrer Gesamtheit noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen zu tun haben, allgemein bekannt noch ohne weiteres zugänglich ist (Z 1), von kommerziellem Wert ist, weil sie geheim ist (Z 2), und Gegenstand von den Umständen entsprechenden angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch die Person ist, welche die rechtmäßige Verfügungsgewalt über diese Informationen ausübt (Z 3). Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale eines Geschäftsgeheimnisses nach dieser Bestimmung trifft den Kläger.

Eine Information ist nicht nur dann geheim, wenn sie absolut neu ist; maßgeblich ist vielmehr die praktische Zugänglichkeit der Information für einen bestimmten Personenkreis. Allgemein bekannt ist eine Information, wenn sie zum gängigen Kenntnis- und Wissensstand der breiten Öffentlichkeit oder einer dem maßgeblichen Fachkreis angehörenden durchschnittlichen Person gehört. Publikationen in einschlägigen Fachzeitschriften oder in offengelegten Patentanmeldungen führen in der Regel dazu, dass eine Information als allgemein bekannt anzusehen ist. Ohne weiteres zugänglich ist eine Information, die zwar nicht allgemein bekannt ist, die sich eine Person des maßgeblichen Verkehrskreises aber ohne erheblichen Aufwand und Einsatz an Zeit, Mühe, Kosten und/oder Geschick mit ansonsten lauteren Mitteln verschaffen kann.

Fraglich war, ob eine Information, die dem „Stand der Technik“ angehört, allgemein bekannt oder doch leicht zugänglich ist. Der Begriff „Stand der Technik“ entzieht sich jedoch einer einheitlichen Auslegung. Als „Stand der Technik“ wird einerseits das Fachwissen bezeichnet, andererseits werden auch bestimmte Produkteigenschaften oder Herstellungsmethoden so bezeichnet. Das schließt aber nicht aus, dass die dafür notwendigen Informationen im Sinn von Anleitungen oder Plänen geheim sein können, wenn sie der Fachmann nur mit erheblichem Aufwand entwickeln kann. § 26b Abs 1 UWG schützt jedenfalls komplexe Informationen. Auch bekannte oder ohne weiteres zugängliche Informationen sind als geheim anzusehen, solange die konkrete Zusammenstellung und Anordnung nicht bekannt bzw leicht zugänglich ist.

Eine Information weist aufgrund der Geheimhaltung einen kommerziellen Wert (§ 26b Abs 1 Z 2 UWG) auf, wenn sie über einen tatsächlichen oder künftigen Handelswert verfügt oder wenn ihr Bekanntwerden für den Inhaber des Geschäftsgeheimnisses wirtschaftliche Nachteile mit sich. Ein bloß ideeller Wert reicht nicht aus, eine bestimmte Mindestwertschwelle muss aber nicht erreicht werden. Die Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit ist (nur) eine mögliche Erscheinungsform des kommerziellen Werts, die gleichrangig neben den finanziellen Interessen des Inhabers steht. Es muss ein wirtschaftliches Geheimhaltungsinteresse geben.

Im vorliegenden Fall kam der OGH zu dem Ergebnis, dass die Grundformen von Pickelarm, Schwenklager und Pickelhalterung zum Stand der Technik zählten und diese sich auch aus abgelaufenen Patenten ergaben. Aus den Konstruktionszeichnungen der Klägerin ergaben sich jedoch zusätzliche Informationen. Ein durchschnittlicher Konstrukteur hätte sich durch die Zeichnungen der Klägerin 25 Arbeitsstunden erspart. Dennoch handelte es sich um geheime Informationen. Im vorliegenden Fall wurden allerdings nicht in relevanter Weise die kommerziellen Interessen der Klägerin beeinträchtigt. Die Wettbewerbsposition der Klägerin wurde nämlich nicht durch die teilweise Verwendung ihrer Zeichnungen bedroht, sondern vielmehr durch die patentierte Weiterentwicklung der Antriebseinheit der Beklagten in Form eines hydraulischen Stopfantriebs (als sogenanntes „Flüsteraggregat“).

Zum Thema „Ausbeutung nach innerem Frontwechsel“ führte der OGH aus, dass dieser Frontwechsel zwar stattgefunden hat und die Mitnahme von Konstruktionsplänen unlauter war, sich daraus aber kein spürbarer Wettbewerbsverstoß ergeben hat.

Der OGH kam daher zu dem Ergebnis, dass die Klagsanprüche nicht zu Recht bestehen.