OGH-Entscheidung vom 22.9.2020, 4 Ob 84/20m

 

Sachverhalt:

Die klagende Vereinigung vertritt die rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder, das sind 90 % der Tätowierer und Piercer in Vorarlberg.

Nach der österreichischen Gewerbeordnung gehört Tätowieren und Piercen zum reglementierten Gewerbe der Kosmetik. Zur Erlangung der Gewerbeberechtigung muss eine bestimmte Ausbildung absolviert sowie eine Befähigungsprüfung abgelegt werden.

Der Beklagte war in Deutschland als Tätowierer tätig. Seit 2019 hat er das Gewerbe „Tätowieren“ in Deutschland angemeldet. Dazu verfügt er über eine Bescheinigung der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben, in der vermerkt ist, dass sie als Nachweis der erlernten oder ausgeübten Tätigkeit gegenüber den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten der EU beim Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zur Ausübung einer der in den (Berufsberechtigungs-)Richtlinien erfassten selbständigen Erwerbstätigkeit dient.

Seit 2016 ist der Beklagte in Vorarlberg ansässig und betreibt in Dornbirn als selbständig Erwerbstätiger ein Tattoo-Studio. Er verfügt über keine österreichische Gewerbeberechtigung; es liegt auch keine Anerkennung oder Gleichhaltung einer Berufsqualifikation nach den §§ 373c ff GewO vor. 2019 stellte er beim Landeshauptmann von Vorarlberg den Antrag auf Anerkennung seiner in Deutschland erworbenen Berechtigung zum Ausüben des Tätowiergewerbes. Ihm wurde mitgeteilt, dass er als Anerkennungsvoraussetzung noch das Modul 3 des einschlägigen Lehrgangs samt Prüfung absolvieren müsse.

Die Klägerin begehrte, dem Beklagten auf der Grundlage des § 1 Abs 1 Z 1 UWG (Rechtsbruch) zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr (in Österreich) das gewerbsmäßige Tätowieren auszuüben.

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH erachtete die Revision des Beklagten für zulässig, aber nicht berechtigt.

Für die Anerkennung gewerblicher Berufsqualifikationen ist die Berufsanerkennungsrichtlinie einschlägig. Sie knüpft an den Begriff des reglementierten Berufs an. In Österreich fallen darunter die reglementierten Gewerbe (§ 94 GewO) und daher auch die hier fragliche Tätigkeit als Tätowierer (§ 94 Z 42 iVm § 109 Abs 3 GewO).

Die Berufsanerkennungsrichtlinie kennt als Anerkennungsmodalitäten die Gleichhaltung besonderer (behördlicher) Befähigungs- bzw Qualifikationsnachweise; die Anerkennung der Berufserfahrung in den Berufen Handwerk, Industrie und Handel durch die Anerkennung von Berufserfahrungsnachweisen sowie die Gleichhaltung von Ausbildungsnachweisen.

Die hier fragliche Bescheinigung der zuständigen Industrie- und Handelskammer kommt inhaltlich als Nachweis der Berufserfahrung in Betracht.

Die Anerkennung der Berufserfahrung nach den Art 16 bis 19 der Berufsanerkennungs-RL wurden in Österreich durch § 373c GewO sowie durch die §§ 2 bis 4 der EU-/EWR-Anerkennungsverordnung umgesetzt. Auf der Grundlage des § 373c GewO ist die tatsächliche Berufserfahrung von Staatsangehörigen eines anderen EU- bzw EWR-Staats als Nachweis für die Berufsqualifikation anzuerkennen. Dabei wird die Qualifikation des Antragstellers durch die Behörde nicht inhaltlich überprüft, sofern eine bestimmte Tätigkeitsdauer und allenfalls die dafür erforderliche (vorherige) Ausbildung nachgewiesen werden. Sind die Voraussetzungen erfüllt, erfolgt somit eine „automatische“ Anerkennung, sofern keine Ausschlussgründe nach § 13 GewO vorliegen.

Durch den Ersatz des Befähigungsnachweises wird jedoch noch keine Gewerbeberechtigung begründet; der ersetzte Befähigungsnachweis ist nur eine Voraussetzung dafür. Eine Gewerbeberechtigung muss nach den allgemeinen Regeln erlangt werden.

Nach den Feststellungen hatte der Kläger zwar einen Antrag auf Anerkennung seiner ausländischen Berufserfahrung gestellt, jedoch noch keinen positiven Anerkennungsbescheid erhalten. Dementsprechend fehlt es auch an der erforderlichen österreichischen Gewerbeberechtigung. Damit war der Rechtsstandpunkt des Beklagten, er sei – ohne weitere Voraussetzungen – befugt, das Gewerbe als Tätowierer in Österreich auszuüben, nicht vertretbar. Der von der Klägerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch bestand daher zu Recht. Der OGH gab der Revision nicht Folge.