OGH-Entscheidung vom 20.12.2017, 10 Ob 34/17y

Sachverhalt:

Auf einem ausreichend beschilderten Privatparkplatz wurde ohne Zustimmung der Mieterin das Fahrzeug der Beklagten abgestellt. Ein Bekannter der Mieterin brachte einen Zettel auf dem Fahrzeug der Beklagten an, der den Hinweis enthielt, dass ein Parkverbot bestehe, sowie Telefonnummern der Mieterin und ihres Bekannten mit dem Ersuchen, diese anzurufen. Es meldete sich jedoch niemand. Zwei Tage später verständigte der Bekannte der Mieterin die Polizei, die ihn jedoch darauf hinwies, dass sie für einen Privatparkplatz nicht zuständig sei. Außerdem wurden Erkundigungen beim Hausmeister und auch bei anderen Personen durchgeführt, ob ihnen Lenker oder Halter des Fahrzeugs bekannt seien. Niemand konnte jedoch sagen, wem das Fahrzeug gehört.

Nachdem die Versuche, den Besitzer bzw Halter des Fahrzeugs ausfindig zu machen und mit ihm in Kontakt zu treten, gescheitert waren, beauftragte die Mieterin des Parkplatzes die Klägerin, das Fahrzeug abzuschleppen. Die Klägerin schleppte das auf die Beklagte zugelassene Fahrzeug vom Privatparkplatz der Mieterin sodann ab und stellte dieses auf dem Firmengelände der Klägerin ab, wo es sich nach wie vor befindet. Eine Abschleppung durch die Klägerin kostet grundsätzlich 300 EUR, zusätzlich wurden 18 EUR für die Ladungssicherung und 60 EUR für die außerhalb der Bürozeiten durchgeführte Abschleppung verrechnet. Die Standgebühren der Klägerin betragen 24 EUR täglich.

Die Mieterin des Parkplatzes trat ihre Ansprüche gegen den Lenker/die Lenkerin des abgeschleppten Fahrzeugs mit Zessionsvereinbarung zahlungshalber an die Klägerin ab.

Zahlungsaufforderungen an die Beklagte wurden mit dem Vermerk „verzogen“ an die Klägerin retourniert. Eine Abfrage beim Zentralen Melderegister ergab, dass die Beklagte keinen aktuellen Wohnsitz hatte. Eine Kurzauskunft eines Inkasso- und Informationsbüros ergab, dass die Beklagte „untergetaucht“ war.

Die Klägerin versuchte schließlich, die Kosten auf dem Klagsweg erstattet zu bekommen.

Die durch einen Zustellkurator vertretene Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, dass die Mieterin nicht berechtigt gewesen sei, das Fahrzeug vom Privatparkplatz entfernen zu lassen.

Entscheidung:

Erst- und Berufungsgericht gaben dem Klagebegehren nicht Folge. Auch der OGH gab der Revision nicht Folge. Aus der Begründung:

Gemäß § 19 Satz 1 ABGB muss zum Schutz und zur Durchsetzung von Rechten grundsätzlich behördliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Selbsthilfe im weiteren Sinn des § 19 Satz 2 ABGB (das ist Selbsthilfe im engeren Sinn, Notwehr, Nothilfe und Notstand) ist demgegenüber nur subsidiär und nur in engen Grenzen zulässig. Selbsthilfe im engeren Sinn ist gesetzlich erlaubte Eigenmacht zur Durchsetzung oder (vorläufigen) Sicherung eines eigenen Rechts. Sie ist in der Regel unzulässig; der Berechtigte hat sich mit seinem Anliegen grundsätzlich an die vom Gesetz bestimmten Behörden zu wenden.

Zu den Rechten des Besitzes gehört „auch das Recht, sich in seinem Besitz zu schützen und in dem Fall, dass richterliche Hilfe zu spät kommen würde, Gewalt mit angemessener Gewalt abzutreiben“. Der Mieter eines Privatparkplatzes genießt als Rechtsbesitzer Besitzschutz gemäß § 344 ABGB. § 344 ABGB stellt neben § 19 ABGB, wo die Zulässigkeit der Selbsthilfe in gewissen Grenzen vorausgesetzt wird, die wesentliche Rechtsgrundlage des Selbsthilferechts überhaupt dar. Der Akt der Selbsthilfe ist nur dann rechtmäßig, wenn die Hilfe der Behörden zu spät käme, also der vorgesehene Rechtsweg zur Durchsetzung nicht geeignet ist. Nachteile, die durch die bloße Verfahrensdauer zu erwarten sind, berechtigen nicht zur Selbsthilfe.

Eine Selbsthilfemaßnahme ist daher zusammengefasst nicht gerechtfertigt, wenn der zu sichernde Anspruch in Wahrheit nicht bestand, die behördliche Hilfe durchaus rechtzeitig gewesen wäre oder der Eingriff im konkreten Fall bei der gebotenen Abwägung der wechselseitigen Interessen übermäßig war. Wer sich auf Selbsthilfe beruft, hat zu beweisen, dass er rechtmäßig handelte.

Allgemein muss für die Selbsthilfe das gelindeste zielführende Mittel der Rechtsdurchsetzung gewählt werden. Im Zusammenhang mit dem eigenmächtigen Abschleppen von Kraftfahrzeugen hat der Oberste Gerichtshof bereits früher ausgeführt, dass das (unsachgemäße) „Beiseiteräumen“ eines Fahrzeugs dann keine berechtigte Selbsthilfe im Sinn der §§ 19, 344 ABGB darstellt, wenn diejenigen, die das Fahrzeug entfernt haben, zuvor keine Erkundigungen nach der Person des Lenkers eingeholt haben. Demjenigen, der rechtswidrig das Fahrzeug abstellte, muss dadurch die Möglichkeit geboten werden, das Fahrzeug selbst zu entfernen.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die durch die Mieterin veranlasste Abschleppung des Fahrzeugs der Beklagten unerlaubte Selbsthilfe war. Dazu ist wesentlich, dass sich der Umstand, dass die Beklagte „untergetaucht“ ist, erst im Zug der nach der Abschleppung durchgeführten Nachforschungen herausstellte.

Die Behörde hat Privatpersonen auf Anfrage, in der das Kennzeichen, die Motornummer oder die Fahrgestellnummer angegeben und ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird, nach Maßgabe der technischen und organisatorischen Auswertungsmöglichkeiten Namen und Anschrift des Zulassungsbesitzers bekannt zu geben. Diese Auskunft hätte die Mieterin des Parkplatzes ohne unzumutbaren Aufwand erhalten können, weil ihr das Kennzeichen des Fahrzeugs bekannt war.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass auch durch die Aufrechterhaltung eines durch eine Selbsthilfe geschaffenen Zustands die Selbsthilfe unrechtmäßig werden kann, sodass zur Verhinderung dieses Rechtswidrigwerdens gerichtliche (bzw behördliche) Schritte einzuleiten sind. Veranlasst ein Mieter eines Parkplatzes ein Abschleppunternehmen, ein dort unberechtigt geparktes Fahrzeug abzuschleppen und (gegen Entgelt) auf einem Parkplatz des Abschleppunternehmens abzustellen, so ist er vor diesem Hintergrund selbst bei Annahme berechtigter Selbsthilfe im engeren Sinn gehalten, unverzüglich die erforderlichen gerichtlichen Schritte einzuleiten.

Schon aus diesen Gründen stellt die Handlungsweise der Mieterin im vorliegenden Fall keine angemessene und damit rechtmäßige Maßnahme der Selbsthilfe im Sinn der §§ 19, 344 ABGB dar. Für die geltend gemachten Schadenersatzansprüche fehlt es daher an einer Grundlage.