OGH-Urteil vom 23.2.2016, 4 Ob 142/15h

Sachverhalt:

Der Kläger ist Grafikdesigner und professioneller Schriftgestalter. Er entwickelt eigene Schriften, die von Grafikern verwendet werden können. Im konkreten Fall nahm der Kläger die Handschrift einer Bekannten, vergrößerte sie und bearbeitete sie mit dem Ziel, dass die einzelnen Buchstaben und Buchstabenkombinationen eine flüssige Verbindung miteinander eingingen. Danach digitalisierte der Kläger die einzelnen Buchstaben durch Scannen und machte sie mit einem Schriftgestaltungsprogramm digital verwendbar. Das durch diese Schritte generierte, als Schriftart in digitaler Form entstandene Computerprogramm (Font) verkauft der Kläger gegen Entgelt an Grafiker.

Im Sommer 2013 stieß der Kläger beim Lesen einer Tageszeitung auf einen von der Beklagten gestalteten Katalog, in dem diese Schrift mehrfach verwendet wurde und klagte u.a. auf Unterlassung.

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze ab. Das Berufunsggericht gab zumindest dem Unterlassungsbegehren Folge. Der OGH wiederum gab der Revision der Beklagten Folge und wies auch das Unterlassungsbegehren ab. Aus der Begründung:

Werke im Sinne des § 1 Abs 1 UrhG sind eigentümliche geistige Schöpfungen auf den Gebieten der Literatur, der Tonkunst, der bildenden Künste und der Filmkunst. Unter einem Werk ist nur das Ergebnis einer schöpferischen geistigen Tätigkeit zu verstehen, das seine Eigenheit, die es von anderen Werken unterscheidet, aus der Persönlichkeit seines Schöpfers empfangen hat. Ausschlaggebend ist die individuelle Eigenart: Die Leistung muss sich vom Alltäglichen, Landläufigen und üblicherweise Hervorgebrachten abheben. Die Schöpfung muss zu einem individuellen und originellen Ergebnis geführt haben. Beim Werk müssen persönliche Züge seines Schöpfers – insbesondere durch die visuelle Gestaltung und durch die gedankliche Bearbeitung – zur Geltung kommen.

Ob die dem Kläger als Vorlage dienende Handschrift ein geschütztes Werk ist oder nicht, konnte aus Sicht des OGH jedoch ungeprüft bleiben; denn die vom Kläger gefertigte Computerschrift ist nämlich weder als Bearbeitung ein Werk zweiter Hand nach § 5 UrhG, noch ein nach einer Vorlage ohne urheberrechtlichen Schutz geschaffenes originäres Werk nach § 1 UrhG.

Der Kläger hat nach den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts die Handschrift einer dritten Person vergrößert und sie mit dem Ziel bearbeitet, dass die einzelnen Buchstaben und Buchstabenkombinationen eine flüssige Verbindung miteinander eingingen. Danach digitalisierte er die einzelnen Buchstaben durch Scannen und machte sie mit einem Schriftgestaltungsprogramm digital verwendbar. Der Kläger hat nicht etwa Teile der Vorlage aufgrund eigenständiger geistiger Entscheidung weggelassen oder hinzugefügt, weil sie das Gesamtbild stören oder verbessern. Seine Tätigkeit war vielmehr durch die Notwendigkeit bestimmt, dass handschriftartige Computerschriften zwingend voraussetzen, dass die Zeichen miteinander flüssig verbunden werden können. Darin liegt zwar zweifellos eine kunsthandwerkliche Leistung, das Ergebnis besitzt aber nicht das erforderliche Maß an schöpferischer Gestaltungskraft.

Der Handschrift eines Menschen kommt in der Regel kein Werkcharakter zu. Die Handschrift ist zweifellos individuell; ihre Einzigartigkeit ergibt sich aber nicht aus dem Ausdruck künstlerischer Gestaltung, sondern aus jahrelangem, in kleinsten Nuancen geschehenden Verschleifen der gelernten Lateinschrift. Damit ist sie nicht Produkt individueller Schöpfungskraft, sondern bezieht ihre Einzigkartigkeit ausschließlich aus der statistischen Unwahrscheinlichkeit, dass eine andere Person genau dieselbe Schrift verwendet.

Damit kommt dem vom Kläger gestalteten (Computer-)Schriftsatz keine Werkeigenschaft und somit kein Urheberrechtsschutz zu. Der Kläger ist auf einen nach § 1 Abs 3 MuSchG zu erlangenden Musterschutz zu verweisen.