OGH-Entscheidung vom 15.4.2021, 6 Ob 35/21x

 

Sachverhalt:

Die Beklagte verfügt über eine Gewerbeberechtigung als Adressenverlag und ermöglichte ihren werbetreibenden Kunden den zielgerichteten Versand von Werbung. Sie erhob auch Informationen zu den Parteiaffinitäten der Bevölkerung, indem sie Umfrageergebnisse mit Statistiken aus Wahlergebnissen kombinierte. Jene Daten, die nicht mit einem Sperrvermerk aufgrund eines Eintrags in die Robinsonliste versehen waren, wurden an zwei politische Parteien und eine parteinahe Organisation verkauft. Nach kritischen Medienberichten beschloss die Beklagten angesichts der negativen öffentlichen Resonanz den Rückzug aus diesem Geschäftszweig.

Die Beklagte erhielt in der Folge ein Auskunftsersuchen des Klägers, mit dem dieser die Beklagte aufforderte, ihn unter anderem über Art, Inhalt und Herkunft der ihn betreffenden gespeicherten Daten, weiters über die Speicherdauer sowie den Zweck und die rechtliche Grundlage der Datenverarbeitung zu informieren. Die Beklagte übermittelte dem Kläger die begehrte Auskunft. Der Kläger, der keine Einwilligung zur Datenverarbeitung erteilt hatte, war über die Speicherung seiner Daten zur Parteiaffinität verärgert. Zusätzlich erbost war der Kläger über die ihm zugeschriebene „hohe Affinität“ zur FPÖ.

Der Kläger begehrte vor Gericht, es der Beklagten zu untersagen, personenbezogene Daten, aus denen seine politische Meinung hervorgeht, insbesondere Daten zur Parteiaffinität zu verarbeiten; weiters möge sie zur Löschung all dieser Daten sowie zur Zahlung von 1.000 EUR verpflichtet werden.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren statt und wies das Löschungs- sowie das Zahlungsbegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Der Kläger erhob Revision gegen die Abweisung seines Zahlungsbegehrens. Die Beklagte bekämpfte wiederum den Zuspruch des Unterlassungsbegehrens.

Der OGH befand die Revision der Beklagten für zulässig (letztlich aber unberechtigt), weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehlt, ob aus einer – aus statistischer Auswertung von anonymen Umfragedaten ermittelten – Wahrscheinlichkeitsaussage über die Parteiaffinität einer konkreten Person die politische Meinung der Person im Sinne des Art 9 Abs 1 DSGVO hervorgeht.

Zum Personenbezug einer Wahrscheinlichkeitsaussage nach Art 4 Z 1 DSGVO führte der OGH aus, dass „personenbezogene Daten“ iSd Art 4 Nr 1 DSGVO alle Informationen sind, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Auch innere Zustände wie Meinungen, Motive, Wünsche, Überzeugungen und Werturteile weisen einen Personenbezug auf. Damit umfasst der Begriff der „Information“ nicht nur Aussagen zu überprüfbaren Eigenschaften oder sachlichen Verhältnissen der betroffenen Person, sondern auch Einschätzungen und Urteile über sie. In diesem Sinne sind Daten mit Bezug zu einer Person auch dann personenbezogen, wenn sie unzutreffend sind. Aggregierte oder statistische Daten sind hingegen dann nicht personenbezogen, wenn sie keine Rückschlüsse mehr auf eine einzelne Person zulassen. Es kommt daher darauf an, ob eine Einzelperson als Mitglied einer Personengruppe gekennzeichnet wird. Der OGH kam in diesem Punkt zu dem Ergebnis, dass die hier zu beurteilenden Informationen dem Regime der DSGVO unterliegen, da sie dem Kläger direkt zugeordnet waren und Aussagen etwa über seine Vorlieben und Einstellungen enthielten; gleichgültig ob die Einschätzungen tatsächlich zutreffend waren.

Zum „Hervorgehen der politischen Meinung“ gemäß Art 9 Abs 1 DSGVO führte der OGH aus, dass personenbezogene Daten, die ihrem Wesen nach hinsichtlich der Grundrechte und Grundfreiheiten besonders sensibel sind, einen besonderen Schutz verdienen, weil im Zusammenhang mit ihrer Verarbeitung erhebliche Risiken für die Grundrechte und Grundfreiheiten auftreten können. Die von Art 9 DSGVO geschützten Datenkategorien weisen ein hohes Schadens- und Diskriminierungspotential auf. Daher erschien es dem OGH geboten, nicht nur solche Daten in den Schutzbereich des Art 9 Abs 1 DSGVO einzubeziehen, aus denen die tatsächliche politische Einstellung des Betroffenen hervorgeht, sondern gerade auch Daten über vermutete politische Vorlieben des Einzelnen. Im Falle von Daten, die keine Aussage über die tatsächlichen politischen Überzeugungen und Vorlieben treffen, sondern eine bloße Wahrscheinlichkeitsaussage über die vermutete gesteigerte Empfänglichkeit des Betroffenen für Werbung einer speziellen politischen Partei darstellen, wird unzweifelhaft eine politische Meinung unterstellt.

Zum Unterlassungsanspruch nach der DSGVO verwies der OGH unter anderem auf diese Entscheidung, wo er sich mit dem System der Zweigleisigkeit des Rechtsschutzes nach der DSGVO befasste und dieses im Grundsatz mit Blick auf die Anordnung des Art 79 Abs 1 DSGVO bejahte, wonach jede betroffene Person das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf hat, wenn sie der Ansicht ist, dass die ihr aufgrund dieser Verordnung zustehenden Rechte infolge einer nicht im Einklang mit dieser Verordnung stehenden Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten verletzt wurden.

Nach Ansicht des OGH lag auch weiterhin Wiederholungsgefahr vor. Obwohl die Beklagte sich aus dem fraglichen Marketingbereich zurückgezogen und den Datenbestand vernichtet hat, wäre es ihr zukünftig möglich, neuerlich personenbezogene Daten des Klägers zu verarbeiten, aus denen seine politische Meinung hervorgeht. Zudem beharrte die Beklagten nachhaltig auf dem Standpunkt, die Datenverarbeitung sei rechtmäßig erfolgt.

Der OGH wies die Revision der Beklagten daher mit Teilurteil ab.

Im Hinblick auf das in erster und zweiter Instanz abgewiesene Schadenersatzbegehren des Klägers führte der OGH aus, dass nach Art 82 Abs 1 DSGVO jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter hat. Damit werde eine eigenständige datenschutzrechtliche Haftungsnorm statuiert. Der Ersatz eines immateriellen Schadens setzt einen konkret nachzuweisenden ideellen Nachteil durch den Datenschutzverstoß voraus: Dieser kann darin liegen, dass der Betroffene Zeit und Mühe aufwenden muss, um der Rechtsverletzung ein Ende zu setzen bzw um sich gegen Schäden zu schützen. Ebenso resultieren aus der Rechtsverletzung Gefühlsbeeinträchtigungen wie Ängste, Stress oder Leidenszustände angesichts einer möglichen Bloßstellung, Diskriminierung oder Ähnlichem.

Der OGH setze das Verfahren aus und legte dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

  1. Erfordert der Zuspruch von Schadenersatz nach Art 82 DSGVO neben einer Verletzung von Bestimmungen der DSGVO auch, dass der Kläger einen Schaden erlitten hat oder reicht bereits die Verletzung von Bestimmungen der DSGVO als solche für die Zuerkennung von Schadenersatz aus?
  2. Bestehen für die Bemessung des Schadenersatzes neben den Grundsätzen der Effektivität und Äquivalenz weitere Vorgaben des Unionsrechts?
  3. Ist die Auffassung mit dem Unionsrecht vereinbar, dass Voraussetzung für den Zuspruch immateriellen Schadens ist, dass eine Konsequenz oder Folge der Rechtsverletzung von zumindest einigem Gewicht vorliegt, die über den durch die Rechtsverletzung hervorgerufenen Ärger hinausgeht?

 

 

Link zum Entscheidungstext (Teilurteil)

Link zum Entscheidungstext (Vorabentscheidungsersuchen)

 

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