OGH-Entscheidung vom 18.3.2021, 5 Ob 229/20t

 

Sachverhalt:

Die Klägerin verspürte in Folge einer Oberlidstraffung einen Spannungsschmerz und suchte die Ordination des beklagten Arztes auf. Da keine Besserung eintrat, führte der Beklagte ein Midface-Lifting mit Kanthoplastik sowie eine Korrektur der verbreiterten Narbe am Oberlid der Klägerin durch. Dieser Eingriff war medizinisch indiziert und wurde vom Beklagten lege artis vorgenommen.

Vier Monate später nahm der Beklagte neuerlich einen operativen Eingriff vor. Über diesen Eingriff hatte der Beklagte die Klägerin am ca. 6 Wochen zuvor aufgeklärt. Nach dem Eingriff konsultierte die Klägerin den Beklagten wiederholt und zeigte sich mit dem Behandlungsergebnis unzufrieden. Folglich wurden weitere 4 Monate später operativ – rein ästhetischer Natur und medizinisch nicht indiziert – weitere Maßnahmen ergriffen. Die Aufklärung der Klägerin über diesen Eingriff und ihre Zustimmung erfolgten am Tag der Operation.

Die Klägerin begehrt 30.000 EUR Schmerzengeld, die Rückzahlung der Behandlungskosten und die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche nachteiligen Folgen aus den Eingriffen. Bei den rein ästhetischen Eingriffen sei die nach § 6 Abs 1 ÄsthOpG geforderte Frist von zumindest zwei Wochen zwischen Aufklärung und Einwilligung nicht eingehalten worden.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Beklagte habe die Klägerin zwar erst am Tag des Eingriffs selbst aufgeklärt und damit die Frist des § 6 Abs 1 und Abs 3 ÄsthOpG nicht eingehalten; ihm sei aber der Nachweis gelungen, dass die Klägerin auch bei rechtzeitiger Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH befand die Revision der Klägerin für zulässig, aber nicht berechtigt.

Ein wesentlicher Grundsatz der gesetzlichen Verschuldenshaftungstatbestände ist, dass (nur) für durch rechtswidriges Verhalten schuldhaft zugefügte Schäden zu haften ist. Wäre der eingetretene Schaden aber auch bei gebotenem bzw rechtmäßigem Verhalten eingetreten, steht dem Schädiger in der Regel der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens zu. Wer wegen Verletzung einer Schutzvorschrift haftet, kann sich von der Haftung daher durch den Beweis befreien, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich vorschriftsmäßig verhalten hätte. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn Ärzten eine Aufklärungspflichtverletzung vorgeworfen wird.

Das Bundesgesetz über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen (ÄsthOpG) enthält ausdrückliche Regelungen über die ärztliche Aufklärung (§ 5 ÄsthOpG) und die Einwilligung (§ 6 ÄsthOpG). § 6 Abs 1 ÄsthOpG ordnet an, dass eine ästhetische Operation nur durchgeführt werden darf, wenn der Patient/die Patientin nach umfassender ärztlicher Aufklärung nachweislich die Einwilligung dazu erteilt hat, und eine Frist von zumindest zwei Wochen zwischen der ärztlichen Aufklärung und der Einwilligung einzuhalten ist. Zweck der gesetzlich angeordneten Wartefrist ist, dem Patienten eine ausreichend lange Überlegungsfrist einzuräumen und möglicherweise auch Zweitmeinungen eingeholt werden können. Der Oberste Gerichtshof hat zur Frist des § 6 Abs 1 ÄsthOpG bereits ausgesprochen, dass die ästhetische Behandlung oder Operation als rechtswidriger Eingriff in die körperliche Integrität beurteilt werden muss, wenn der Eingriff vor Ablauf der Frist erfolgt.

Einer Verkürzung der vorgesehenen Frist kann jedoch kein solches Gewicht beigemessen werden, dass ein gänzlicher Ausschluss des Einwands eines rechtmäßigen Alternativverhaltens gerechtfertigt wäre. In Folge der gesetzlich vorgesehenen Beweislastumkehr muss der beklagte Arzt den Nachweis erbringen, dass der Patient auch bei Inanspruchnahme der gesetzlich vorgesehenen Frist zur Überlegung seine Einwilligung zum Eingriff erteilt hätte, also auch nach reiflicher Überlegung zu demselben Entschluss gekommen wäre. Die Klägerin hatte die Feststellung des Erstgerichts nicht bekämpft, wonach sie dem Eingriff auch bei Einhaltung einer zweiwöchigen Frist zwischen Aufklärung und Einwilligung jedenfalls zugestimmt hätte. Der OGH gab der Revision der Klägerin daher nicht Folge. Der Beklagte durfte den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens erheben und konnte den Beweis erbringen.

 

 

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