OGH-Entscheidung vom 15.3.2021, 6 Ob 32/21f

 

Sachverhalt:

Dem Kläger wurde vom Beklagten vorgeworfen, einen Betrug (konkret einen Spesenbetrug) zu Lasten einer politischen Partei begangen zu haben. Der endgültige Schaden könne noch nicht beziffert werden, aber das Bundeskriminalamt ermittle in diesem laufenden Verfahren, in dem derzeit 50 Aktenordner durchleuchtet würden. Es „schaue so aus“, dass es nicht nur um einen Mietkostenzuschuss gehe, sondern ein „Kriminalfall“ sei. Der Kläger solle sich durch gefälschte Rechnungen sein Privatleben bzw. sein Luxusleben finanziert haben.

 

Entscheidung:

Der Antrag der Klägers auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wurde abgewiesen. Der OGH wies auch den Revisionsrekurs zurück.

Beim Bedeutungsinhalt einer Äußerung kommt es immer auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerungen an. Maßgebend ist das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers oder Durchschnittshörers, nicht aber der subjektive Wille des Erklärenden.

Im Allgemeinen ist in der politischen Debatte kein streng juristisches Begriffsverständnis anzulegen. Wer eine mehrdeutige Äußerung macht, muss die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen. Aber auch die Anwendung dieser Unklarheitenregel ist am Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung zu messen: Liegt die Annahme eines bestimmten Tatsachenkerns nahe, der wahr ist und die damit verbundenen Werturteile als nicht exzessiv rechtfertigt, so muss die entfernte Möglichkeit einer den Kläger noch stärker belastenden Deutung unbeachtlich bleiben.

Der OGH schloss sich dem Ergebnis des Erstgerichts an, wonach dieses zum Bedeutungsinhalt festhielt, dass der Beklagte nicht behauptet habe, dass der Kläger strafbare Handlungen im Sinne einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen Täuschung, Betrug und/oder Urkundenfälschung begangen habe. Die Äußerungen seien im Zuge eines Wahlkampfes vor dem Hintergrund des gegen den Antragsteller geführten Ermittlungsverfahrens gemacht worden. Die Behauptungen des Beklagten beruhen jedenfalls auf einem ausreichenden Tatsachensubstrat. Durch diese Behauptungen werde hingegen nicht der Eindruck vermittelt, der Antragsteller sei bereits wegen Täuschung, Betrug, Untreue oder Urkundenfälschung verurteilt worden.

Das Wort „Betrug“ kann viele Bedeutungen haben. Im Duden ist „Betrug“ allgemein als „bewusste Täuschung, Irreführung einer anderen Person“ definiert. Als Synonyme werden dort unter anderem „Bauernfängerei“, „Gaunerei“ und „Prellerei“ angeführt. Zum Verb „betrügen“ wird als Bedeutung „bewusst täuschen, irreführen, hintergehen“, aber auch die Begehung eines Ehebruchs angeführt. Als Synonyme zu „betrügen“ werden „gaunern“, „hintergehen“, „irreführen“ und „täuschen“ angeführt. Es muss kein „Betrug“ im strafrechtlichen Sinn vorliegen. Nach der Rechtsprechung sind die Begriffe „Rechtsbrecher“ und „rechtswidriges Verhalten“ nicht als Vorwurf von Straftaten anzusehen.

Die inkriminierten Äußerungen werden von einem Durchschnittsleser daher nicht dahin verstanden, dass der Antragsteller ein strafrechtliches Delikt verwirklicht habe, sondern vielmehr dahingehend, dass er seine (vormalige) Partei hintergangen und getäuscht und sich dabei einen finanziellen Vorteil verschafft habe, wie auch immer dies (straf-)rechtlich zu subsumieren sei. Der Beklagte verwies in den festgestellten Interviews zudem ausdrücklich „auf ein laufendes Verfahren“ und Ermittlungen des Bundeskriminalamts. Eine eindeutige Schuldannahme wurde nicht geäußert. Zudem war der Öffentlichkeit im Zeitpunkt des Wiener Wahlkampfes 2020 bekannt, dass gegen den Kläger in diesem Zusammenhang Ermittlungen laufen und dieser seine Schuld bestreitet.

Im Rahmen politischer Auseinandersetzung genügt bereits ein „dünnes Tatsachensubstrat“ für die Zulässigkeit einer Wertung. Der Beklagte hat den Kläger nicht bereits als im strafrechtlichen Sinn überführt oder schuldig hingestellt, sondern lediglich Vorwürfe, die der breiten Öffentlichkeit damals ohnehin bereits bekannt waren, wiederholt und dabei auf die laufenden Ermittlungen hingewiesen.

 

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