OGH-Entscheidung vom 15.9.2020, 6 Ob 195/19y

 

Wie hier im Blog berichtet, klagte die ehemalige Parteichefin der Grünen, Eva Glawischnig, Facebook auf Löschung eines Postings, in welchem Sie u.a. als „miese Volksverräterin“ und „korrupter Trampel“ bezeichnet wurde.

Infolge eines erstinstanzlichen Urteils sperrte Facebook den Zugang zu dem ursprünglich geposteten Beitrag. Allerdings nur in Österreich. Der OGH setzte das Verfahren aus und legte es dem EuGH vor. Der EuGH entschied, dass einem Hosting-Anbieter aufgetragen werden kann, von ihm gespeicherte Inhalte, die wortgleich mit zuvor für rechtswidrig erklärten Inhalten sind, zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren. Sinngleiche Inhalte sind zu entfernen oder sperren, wenn sie inhaltlich im Wesentlichen unverändert geblieben sind und Einzelheiten umfassen, die in der Verfügung genau bezeichnet worden sind. Im Hinblick auf die geografische Reichweite könne einem Hosting-Anbieter auch die weltweite Entfernung oder Sperrung aufgetragen werden.

Das ausgesetzte Verfahren wurde in weiterer Folge vom OGH fortgesetzt. In seiner Entscheidung befand der OGH die Revisionsrekurse beider Parteien für zulässig, jedoch nur den der Klägerin auch für berechtigt, und stellte die einstweilige Verfügung des Erstgerichts wieder her.

Der OGH hielt zunächst fest, dass die inkriminierten Äußerungen in Ermangelung eines konkreten Verhaltensvorwurfs mit überprüfbarem Tatsachenkern beleidigende Werturteile im Sinn des § 1330 Abs 1 ABGB darstellen.

In seiner Entscheidungsbegründung nahm der OGH auf diese frühere OGH-Entscheidung (ORF gegen Facebook) sowie die o.g. EuGH-Entscheidung Bezug und schloss sich vollinhaltlich an:

Im Hinblick auf die Überwachungspflicht von Providern fasste der OGH zusammen, dass Mitgliedstaaten bzw deren Behörden keine Maßnahmen erlassen dürfen, die einen Host-Provider verpflichten, von ihm gespeicherte Informationen allgemein zu überwachen. Sie dürfen nicht dazu verpflichtet werden, von sich aus aktiv nach rechtswidrigen Inhalten zu suchen. Die Anordnung zielgerichteter Überwachungsmaßnahmen der nationalen Behörden ist aber zulässig; dazu gehören insbesondere Unterlassungsanordnungen der Zivilgerichte. Die Überwachungspflicht (Kontrollpflicht) des Providers wird dabei durch eine „konkrete Information“ (qualifizierter Hinweis oder Abmahnung nach § 81 Abs 1a UrhG) ausgelöst. Die Unterlassungsanordnung darf auch künftige Rechtsverletzungen, und zwar auch durch andere (dritte) Nutzer erfassen.

Zum Begriff „wortgleiche Verstöße“ führte der OGH aus, dass mit dem sich selbsterklärenden Begriff „wortgleich“ idente Verstöße erfasst werden, wobei aber der Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen ist.

Sinngleiche Verstöße bzw. sinngleiche Inhalte sind solche, die im Kern dem als rechtswidrig beurteilten Inhalt entsprechen. Im Rahmen dieser Beurteilung ist ein angemessener Ausgleich zwischen dem Interesse des Klägers und dem Interesse des Providers herzustellen. Eine Unterlassungsanordnung ist daher dann zulässig, wenn sich die „Kern-Übereinstimmung“ auf den ersten laienhaften Blick ergibt oder durch technische Mittel (zB Filtersoftware) festgestellt werden kann.

Da es unmöglich ist, sämtliche vom Rechtswidrigkeitsurteil erfassten Bearbeitungsvarianten im Spruch zu erfassen, gestattet der EuGH eine weitere Fassung des Unterlassungsgebots, das einen angemessenen Interessenausgleich schafft und leichtfertige Umgehungsmöglichkeiten verhindert. Die abschließende Beurteilung hat letztlich im Rahmen des Exekutionsverfahrens bzw in einem daran anknüpfenden allfälligen Impugnationsverfahren zu erfolgen.

Im vorliegenden Verfahren gab die beantragte einstweilige Verfügung das von der Beklagten zu unterlassende Verhalten konkret an und verlangt keine autonome Beurteilung der Beklagten. Sie stellte somit keine unverhältnismäßige Kontrollverpflichtung für die Beklagte dar. Der OGH stellte daher die erstinstanzliche Entscheidung wieder her. Die Einschränkung des Rekursgerichts, wonach die Verfügung hinsichtlich sinngleicher Behauptungen dahin eingeschränkt worden war, dass das Unterlassungsgebot nur für der Beklagten „von der Klägerin oder dritter Seite zur Kenntnis gebrachte oder sonst zur Kenntnis gelangte“ sinngleiche Behauptungen gelten sollte, wurde daher vom OGH wieder beseitigt.

Eine Einschränkung des Unterlassungsgebots auf Österreich lehnte der OGH ab.