OGH-Entscheidung vom 22.9.2020, 4 Ob 111/20g

 

Sachverhalt:

Im Zielbereich einer vom übrigen Pistenbetrieb abgesperrten „Zeitmessstrecke“ ereignete sich ein Schiunfall. Der Zielraum war nicht zur Gänze abgesperrt, sondern blieb zu einer Seite hin teilweise offen. Die Benutzer dieser Strecke mussten beim Start ihre Liftkarte einscannen und durften diese nach einem akustischen Startsignal befahren. Beim Überfahren der Ziellinie wurde der Start wieder freigegeben.

Am Unfallstag befuhren zunächst der Sohn des Klägers und in der Folge der Kläger selbst die Zeitmessstrecke. Der Kläger blieb nach dem Überfahren der Ziellinie im linken Bereich des Zielraums stehen. Der Beklagte befuhr die Strecke als übernächster Fahrer. Er fuhr in einer Hocke oder Halbhocke mit einer Geschwindigkeit von rund 64 km/h über die Ziellinie, als er den Kläger erstmals wahrnahm. Er reagierte mit einem Notsturz und prallte in der Folge gegen den Kläger.

Der Kläger begehrte Schadenersatz (Schmerzengeld, Verdienstentgang, Sachschäden und sonstige Kosten); zudem stellte er ein Feststellungsbegehren im Hinblick auf die Haftung des Beklagten für künftige Schäden.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge. Der OGH befand die Revision des Beklagten für zulässig und berechtigt.

In seiner Begründung fasst der OGH frühere Rechtsprechung zusammen, wonach vergleichbare Strecken leistungsbereiten Schifahrern als spezielle Rennkurse zur Verfügung gestellt werden. Anders als bei normalen Schipisten fordert der Erhalter die Schifahrer bei den permanenten Rennstrecken geradezu zum riskanten Fahren auf. Beim Befahren einer solchen Strecke steht der sportliche Anreiz und das Erzielen einer möglichst hohen Geschwindigkeit im Vordergrund.

Aus diesem Grund sind die Sorgfaltsanforderungen an die Schifahrer zwar nicht aufgehoben, im Vergleich zu jenen auf einer allgemeinen Schipiste aber herabgesetzt. Zudem konnten Schifahrer im vorliegenden Fall aufgrund der akustischen Startanlage davon ausgehen, dass sich auf seiner Fahrstrecke keine unerwarteten Hindernisse befinden.

Der Schifahrer hat nicht zwischen der Piste vom Start bis zur Ziellinie einerseits und dem Zielraum andererseits zu unterscheiden. Die höhere Geschwindigkeit als auf einer allgemeinen Piste muss ihm auch im Zielbereich zugebilligt werden. Aus diesem Grund kann hier nicht von einem Gebot des Fahrens auf Sicht im Zielbereich ausgegangen werden. Damit fehlt es an einem Verschuldensvorwurf gegenüber dem Beklagten. Das Alleinverschulden am Schiunfall trifft den Kläger, der den Zielbereich sofort nach Beendigung seiner Fahrt hätte verlassen können und müssen.

In Stattgebung der Revision des Beklagten stellte der OGH daher die Entscheidung des Erstgerichts wieder her.