OGH-Entscheidung vom 15.9.2020, 6 Ob 57/20f

 

Sachverhalt:

In einer Tageszeitung sowie in der zugehörigen Online-Ausgabe wurde in einem Artikel unter den Überschriften „Ex-Reiterin im Visier der Justiz“ bzw „Ex-Olympiasiegerin [Klägerin] im Visier der Justiz“ über die Klägerin berichtet.

Der Artikel berichtete zunächst über die von der Klägerin kritisierten Nachbesetzung der Geschäftsführerin der Spanischen Hofreitschule, in deren Folge der Beirat um die Klägerin geschlossen zurückgetreten ist. In weiterer Folge war dem Artikel zu entnehmen, dass „eine Sachverhaltsdarstellung mit brisantem Inhalt bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft eingelangt ist“. Der Klägerin wurde darin vorgeworfen, sie habe durch eine Schenkung von 600.000 Euro erwirkt, bei der Besetzung von Punkterichtern zugunsten ihrer im Reitsport tätigen Tochter mitreden zu können. Laut dem Strafverteidiger der Klägerin sei jedoch nicht einmal ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Der Artikel war mit einem Foto der Klägerin illustriert.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sah schließlich von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Klägerin ab.

Die Klägerin klagte auf Unterlassung, Urteilsveröffentlichung und Zahlung von EUR 4.000.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren mit Teilurteil statt. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH lies die außerordentliche Revision der Beklagten zu und befand sie auch für teilweise berechtigt.

In seiner Begründung argumentierte der OGH, dass durch § 78 UrhG jedermann gegen einen Missbrauch seiner Abbildung in der Öffentlichkeit geschützt werden soll. Die Veröffentlichung von Lichtbildern kann auch dann gegen § 78 UrhG verstoßen, wenn sie als solche unbedenklich sind, der Abgebildete aber durch den Begleittext mit Vorgängen in Verbindung gebracht wird, mit denen er nichts zu tun hat, oder der Neugierde und Sensationslust der Öffentlichkeit preisgegeben wird. Schutzobjekt des § 78 UrhG ist nämlich nicht das Bild an sich, sondern mit dem Bild verknüpfte Interessen. Nicht nur das Bild für sich allein ist zu beurteilen, sondern auch der mit dem veröffentlichten Bild zusammenhängende Text.

Für die Beurteilung, ob die berechtigten Interessen des Abgebildeten durch einen Bildbegleittext beeinträchtigt werden, sind die Wertungen des § 1330 ABGB (Ehrenbeleidigung/Kreditschädigung) maßgebend. Ob der Eingriff in das absolut geschützte Recht der Klägerin an ihrem eigenen Bild rechtswidrig war, hängt von einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall ab.

Bei einem im Kern wahren Sachverhalt fällt die nach § 78 UrhG gebotene Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Abgebildeten und dem Veröffentlichungsinteresse des Mediums als Ausfluss der freien Meinungsäußerung gewöhnlich zugunsten des Mediums aus. Auch im vorliegenden Fall gab der OGH der beklagten Medieninhaberin (im Hinblick auf das Hauptbegehren) Recht:

Der Bedeutungsgehalt der Äußerung, die Klägerin befinde sich „im Visier der Justiz“ kann von einem durchschnittlich qualifizierten Leser nur dahin verstanden werden, dass die Justiz Anlass habe, der Klägerin besonderes Augenmerk zu widmen. Näheres kann der Phrase „im Visier der Justiz“ bei isolierter Betrachtungsweise nicht entnommen werden; insbesondere kein spezifisches Verfahrensstadium. Dieser Bedeutungsgehalt beruht auf einem im Kern wahren Sachverhalt. Auch im weiteren Artikel wurde zutreffend über die Einbringung einer Sachverhaltsmitteilung gegen die Klägerin bei der WKStA berichtet. Zugunsten der Beklagten berücksichtigte der OGH darüber hinaus, dass die Veröffentlichung einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistete, da das (öffentliche) Agieren der Klägerin als Leiterin eines Beirats zu Besetzung einer Spitzenposition in Bezug dazu gesetzt wurde, dass strafrechtlich relevante Vorwürfe gegen sie erhoben wurden. Insgesamt begründete die Äußerung, die Klägerin stehe „im Visier der Justiz“, daher nicht die Unzulässigkeit der Veröffentlichung.

Die Klägerin hatte jedoch mit Ihrem Eventualbegehren Erfolg, das auf den Vorwurf Bezug nahm, die Klägerin habe durch eine Schenkung von EUR 600.000 erreichen wollen, bei der Besetzung von Punkterichtern zugunsten ihrer im Reitsport tätigen Tochter mitzureden. Diese Anschuldigung unterstellt der Klägerin – unabhängig von einer allfälligen strafrechtlichen Beurteilung – ein nach sportlichen Maßstäben verwerfliches Verhalten und ist daher geeignet, ihren Ruf im Sinn des § 1330 Abs 2 ABGB zu beeinträchtigen. Da die versuchte Einflussnahme zugunsten der Tochter der Klägerin nicht Gegenstand der Sachverhaltsmitteilung an die WKStA war, erweist sich die berichtete Verdachtslage als unrichtig. Dem von § 78 UrhG geschützten Recht der Klägerin, nicht mit Vorgängen in Verbindung gebracht zu werden, mit denen sie nichts zu tun hat, stehen keine überwiegenden Veröffentlichungsinteressen der Beklagten gegenüber, weil unwahre Tatsachenbehauptungen und Werturteile, die auf unwahren Tatsachenbehauptungen basieren, nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind.

Die journalistischen Sorgfalt wurde zudem von der Beklagten nicht eingehalten, da nicht festgestellt werden konnte, dass die zuständige Redakteurin der Beklagten versucht hätte, den Inhalt der – ihr nicht vorliegenden – Sachverhaltsmitteilung zu verifizieren. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen.

Die Beklagte wurde daher im Hinblick auf den Bildbegleittext, wonach die Klägerin ‚im Visier der Justiz‘ stehe, weil sie durch eine Schenkung von 600.000 EUR bei der Besetzung von Punkterichtern mitreden wollte, zur Unterlassung verurteilt.