EuGH-Urteil vom 8.10.2020, Rechtssache C‑456/19

 

Sachverhalt:

Die Aktiebolaget Östgötatrafiken (betreibt den öffentlichen Verkehr in Östergötland/Schweden) ist Inhaberin folgender Bildmarken, die beim schwedischen Patentamt für Beförderungs- und Transportdienstleistungen in Klasse 39 der Klassifikation von Nizza eingetragen sind:

2016 beantragte sie die Eintragung von folgenden drei weiteren Marken für verschiedene Beförderungs- und Transportdienstleistungen in Klasse 39:

Die Anmelderin fügte ausdrücklich hinzu, dass diese Anmeldungen nicht die Form der Fahrzeuge als solche beträfen.

Das schwedische Patentamt lehnte die Eintragung ab und begründete dies damit, dass die nach dem Markenrecht angemeldeten Zeichen lediglich gestalterischen Charakter hätten, dass sie nicht als Kennzeichen für die beanspruchten Dienstleistungen verstanden werden könnten und dass ihnen somit die Unterscheidungskraft fehle.

Das innerstaatlich zuletzt mit dem Fall befasste Svea hovrätt, Patent- och marknadsöverdomstolen (Berufungsgericht, Patent- und Marktgericht, Stockholm, Schweden) beschloss, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

 

Entscheidung:

Der EuGH wies zunächst darauf hin, dass auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens noch die Bestimmungen der Anfang 2019 aufgehobenen Markenrechtsrichtlinie 2008/95 und nicht die der Richtlinie 2015/2436 anwendbar sind.

Danach fasste der EuGH seine ständige Rechtsprechung zusammen, wonach die Hauptfunktion der Marke darin besteht, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der betreffenden Ware oder Dienstleistung zu garantieren, indem sie ihm ermöglicht, diese Ware oder Dienstleistung ohne Verwechslungsgefahr von Waren oder Dienstleistungen anderer Herkunft zu unterscheiden. Diese Unterscheidungskraft ist zum einen im Hinblick auf die Waren oder Dienstleistungen, für die sie angemeldet worden ist, und zum anderen im Hinblick auf die Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen, die aus den normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern der Waren oder Dienstleistungen bestehen.

Im Hinblick auf die Beurteilung der Frage, ob ein Zeichen Unterscheidungskraft hat, muss die zuständige Behörde eine Prüfung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls vornehmen. Da die Anmelderin plant, die Zeichen systematisch auf Gegenständen (Fahrzeugen des öffentlichen Nahverkehrs) anzubringen, hat die Beurteilung der Unterscheidungskraft des Zeichens folglich unter Berücksichtigung dieser Wahrnehmung zu erfolgen. Wenn diese Beurteilung zu dem Ergebnis führt, dass die Farbkombinationen auf den Beförderungsmitteln es dem Durchschnittsverbraucher ermöglichen, die von diesem Dienstleistungsunternehmen erbrachten Beförderungsleistungen ohne Verwechslungsgefahr von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden, dann ist diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen.

Nicht zu prüfen ist, ob die angemeldeten Zeichen erheblich von der Norm oder Branchenüblichkeit abweichen. Das Beurteilungskriterium einer erheblichen Abweichung von der Norm oder der Branchenüblichkeit ist auf diejenigen Fälle anzuwenden, in denen das Zeichen im Erscheinungsbild der Ware selbst besteht. Denn der Durchschnittsverbraucher wird – wenn grafische oder Wortelemente fehlen – aus der Form der Waren oder ihrer Verpackung gewöhnlich nicht auf die Herkunft der Waren schließen.

Zwar sind die Beförderungsmittel in den Anmeldungen mit gestrichelten Linien wiedergegeben, doch die angemeldeten Zeichen können weder mit der Form oder der Verpackung dieser Gegenstände verwechselt werden, noch soll durch sie die räumliche Umgebung, in der die Dienstleistungen erbracht werden, dargestellt werden. Die Zeichen bestehen nämlich aus systematisch zusammengefügten und räumlich abgegrenzten Farbkompositionen. Die Anmeldungen betreffen also ganz bestimmte grafische Elemente und sollen nicht durch die bloße Wiedergabe ihrer Umrisslinien eine Ware oder eine der Erbringung von Dienstleistungen dienende Umgebung darstellen.

Der EuGH beantwortete die Vorlagefragen schlussendlich dahingehend, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 dahin auszulegen ist, dass bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft eines als Marke für eine Dienstleistung angemeldeten Zeichens, das aus farbigen Motiven zusammengesetzt ist und das ausschließlich und systematisch auf bestimmte Weise auf einen großen Teil der für die Erbringung dieser Dienstleistung verwendeten Gegenstände aufgebracht werden soll, die Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise vom Aufbringen dieses Zeichens auf diesen Gegenständen zu berücksichtigen ist. Ob dieses Zeichen erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweicht, muss nicht geprüft werden.