OGH-Entscheidung vom 2.7.2020, 4 Ob 31/20t

 

Sachverhalt:

Der Kläger, Heinz-Christian Strache, war im Jahr 2018 Vizekanzler und FPÖ-Bundesparteiobmann. Der Beklagte, Michel Reimon, war für „Die Grünen“ Mitglied des Europäischen Parlaments; im Oktober 2018 veröffentlichte er auf seinem Twitter-Account folgenden Beitrag:

 

 

 

 

 

 

Der Beitrag enthielt das Profilbild und den Namen des Klägers. Tatsächlich hatte der Kläger die veröffentlichte Aussage aber nie getätigt.

Mit dem Tweet wollte der Beklagte auf das an diesem Tag verkündete Urteil gegen eine Politikerin der „Grünen“ im sogenannten „Bierwirt-Fall“ Bezug nehmen. Die Politikerin wurde in erster Instanz medienrechtlich verurteilt, nachdem sie obszöne Nachrichten veröffentlicht hatte, die ihr vom Account eines namentlich genannten Lokalbesitzers übermittelt worden waren. Der dort Beschuldigte gab an, mit der Versendung der beanstandeten Nachricht über sein Facebook-Konto nichts zu tun zu haben. Auf Twitter fand eine umfangreiche Diskussion darüber statt, welche Bedeutung und welche Auswirkungen dieses Urteil hat, und wie künftig das Vortäuschen fremder Identität („Identitätsdiebstahl“) gehandhabt werden solle.

Der Beklagte „spielte“ in diesem Kontext mit der Identität des Klägers, auch weil dieser sich so geäußert hatte, dass die verurteilte Politikerin an der Situation zumindest eine Teilschuld treffe. Der Auffassung des Beklagten nach, lag eine klare Täter-Opfer-Umkehr vor, weshalb er sich veranlasst sah, den (damaligen) Vizekanzler und Parteichef der FPÖ zu kritisieren. Dass er dabei ein Bildnis des Klägers verwendete, stellte aus seiner Sicht einen Teil der Satire dar.

Der Kläger begehrte vor Gericht, dem Beklagten die Unterlassung sowie Urteilsveröffentlichung und Zahlung von Schadenersatz aufzutragen.

 

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klage ab. Der durchschnittliche Twitter-User habe jedenfalls auf den zweiten Blick erkennen können, dass es sich nicht um einen Beitrag des Klägers handle. Das Berufungsgericht gab dem Unterlassungsbegehren und im Wesentlichen auch dem Veröffentlichungsbegehren hingegen statt; das Zahlungsbegehren wies es ab. Der OGH gab der außerordentlichen Revision des Beklagten nicht Folge. Aus der Begründung:

Bildnisse von Personen dürfen weder öffentlich ausgestellt noch auf eine andere Art, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, verbreitet werden, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 78 Abs 1 UrhG). Das Gesetz legt den Begriff der „berechtigten Interessen“ nicht näher fest. Die Beurteilung, ob eine Bildnisveröffentlichung berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt, hat nach objektiven Kriterien und unter Würdigung des Gesamtzusammenhangs zu erfolgen. Maßgebend ist, wie die Art der Veröffentlichung vom Publikum – unter Berücksichtigung des im Zusammenhang mit dem Bild stehenden Textes – verstanden wird. Ein entscheidender Gesichtspunkt ist, ob der Abgebildete durch die Veröffentlichung in einen nicht den Tatsachen entsprechenden Zusammenhang gestellt wurde. Auch Politiker oder sonst allgemein bekannte Personen haben Anspruch darauf, dass die Allgemeinheit Rücksicht auf ihre Persönlichkeit nimmt.

Ein Gebrauch eines Namens durch Dritte verstößt auch gegen das Namensrecht des § 43 ABGB nur dann, wenn dadurch die berechtigten Interessen des Namensträgers verletzt werden. Eine Verletzung ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn über den Namensträger etwas Unrichtiges ausgesagt wird, das sein Ansehen und seinen guten Ruf beeinträchtigt, ihn bloßstellt oder lächerlich macht.

Für das Vorliegen von Satire ist erforderlich, dass der Leser, Hörer oder Betrachter erkennt, dass die Parodie gerade nicht vom Urheber des parodierten Werks stammt, sondern der Meinungs- und Äußerungsfreiheit des Parodisten entspringt. Deshalb sind seine Interessen höher zu bewerten als in anderen Fällen einer Beeinträchtigung; immer vorausgesetzt, dass im Einzelfall eine antithematische Behandlung vorliegt und als solche auch vom Publikum verstanden wird. Ob eine Äußerung als zulässige Satire zu beurteilen ist, bemisst sich aufgrund einer Interessenabwägung zwischen Meinungs-, allenfalls auch Kunstfreiheit des „Satirikers“ auf der einen Seite und den Persönlichkeitsrechten des durch die Äußerung Verunglimpften auf der anderen Seite. Das Recht auf freie Meinungsäußerung kann jedoch eine Herabsetzung des politischen Gegners durch unwahre Tatsachenbehauptungen, mit denen er eines verwerflichen Verhaltens bezichtigt wird, nicht rechtfertigen.

Für die Kommunikation in sozialen Netzwerken, wie insbesondere auf Twitter, ist die ausgeprägte Flüchtigkeit der Meinungsäußerung typisch. Solche Kommunikationsformen bieten ein großes Potential für Persönlichkeitsverletzungen. Im vorliegenden Fall sprach der Beklagte nicht nur seine rund 68.000 „Follower“ an, sondern auch alle Followern von „Retweeters“.

Der Tweet des Beklagten erweckte grundsätzlich den Anschein, es handle sich um einen Beitrag des Klägers. Es lag daher eine Täuschung des Publikums vor. Von einer Satire ging der OGH im vorliegenden Fall schon deshalb nicht aus, weil hier gerade keine konkrete Sympathiebekundung des Klägers für den „Bierwirt“, auf die sich der Tweet des Beklagten hätte beziehen können, hervorging. Unter diesen Umständen kommt daher auf eine Interessenabwägung nicht an. Der Kläger wird vielmehr dadurch, dass ihm eine nicht von ihm stammende Äußerung in den Mund gelegt wird, mit einem Vorgang in Verbindung gebracht, mit dem er nichts zu tun hat. Den dadurch verletzten Persönlichkeitsrechten des Klägers (§ 78 UrhG, § 43 ABGB) steht keine zulässige Meinungsäußerung des Beklagten entgegen.

Der OGH gab der Revision des Beklagten daher nicht Folge.