EuGH-Urteil vom 9.7.2020, Rechtssache C‑264/19

 

Sachverhalt:

Die Constantin Film Verleih GmbH ist eine Filmverwertungsgesellschaft mit Sitz in Deutschland. Constantin Film ist Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte für Deutschland an den Filmwerken „Parker“ und „Scary Movie 5“. Diese Filme wurden von Unbekannten auf YouTube hochgeladen und dort mehrere zehntausend Male angeschaut. Constantin Film verlangte in der Folge von YouTube und von Google (der Muttergesellschaft von YouTube) ihr eine Reihe von Auskünften über jeden der Nutzer zu erteilen, die diese Filme hochgeladen haben.

Die Eröffnung eines Benutzerkontos bei Google erfordert seitens der Nutzer nur die Angabe eines Namens, einer E‑Mail-Adresse und eines Geburtsdatums. Diese Daten werden üblicherweise nicht überprüft; die Postanschrift wird nicht verlangt. Um Videos von mehr als 15 Minuten Länge zu veröffentlichen, muss der Nutzer jedoch eine Mobiltelefonnummer angeben, damit er einen Freischaltcode erhalten kann. Zudem willigen die Nutzer in die Speicherung von Serverprotokollen einschließlich der IP-Adresse und Nutzungszeit ein.

Constantin Film erhielt zunächst nur Namen fiktiver Nutzer und verlangte daher von YouTube und Google zusätzliche Auskünfte. Das Landgericht Frankfurt wies die Klage von ab. Das Oberlandesgericht Frankfurt gab dem Klagebegehren in zweiter Instanz teilweise statt und verurteilte YouTube und Google, Constantin Film Auskunft über die E‑Mail-Adressen der in Rede stehenden Nutzer zu erteilen, und wies die weitergehende Berufung zurück.

Der BGH legte den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

 

Entscheidung:

Der EuGH hatte vor allem zu beantworten, ob sich der Begriff „Adressen“ (iSd Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der RL 2004/48) auch auf die E‑Mail-Adresse und Telefonnummer sowie die IP-Adresse eines Nutzers bezieht, die für das Hochladen von Dateien oder Zugriffe auf sein Benutzerkonto verwendet wurde.

Der EuGH wies zunächst grundsätzlich darauf hin, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass die zuständigen Gerichte gegenüber dem Betreiber der Online-Plattform anordnen können, die Namen und Adressen aller Personen, die auf diese Plattform ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers einen Film hochgeladen haben, bekannt zu geben.

Da der in der Richtlinie verwendete Begriff „Adressen“ nicht definiert ist, ist er entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch ist nur die Postanschrift erfasst. Daraus folgt, dass sich dieser Begriff ohne weitere Präzisierung nicht auf die E‑Mail-Adresse, die Telefonnummer oder die IP-Adresse bezieht.

Da sich der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie für eine Mindestharmonisierung in Bezug auf die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums im Allgemeinen entschieden hat, ist diese Harmonisierung somit auf klar umschriebene Auskünfte beschränkt. Zudem soll die Richtlinie einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Inhaber von Urheber- und verwandten Schutzrechten, dem Schutz der Interessen und Grundrechte der Nutzer von Schutzgegenständen sowie dem Allgemeininteresse schaffen.

Im Ergebnis beantwortete der EuGH die Vorlagefrage daher dahingehend, dass sich der Begriff „Adressen“ in Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/48 nicht auf die E‑Mail-Adresse und Telefonnummer eines Nutzers sowie dessen (für das Hochladen dieser Dateien oder Zugriffe auf sein Benutzerkonto) verwendete IP-Adresse bezieht.

Der EuGH wies jedoch ergänzend darauf hin, dass die Mitgliedstaaten demnach zwar nicht verpflichtet sind, für die zuständigen Gerichte die Möglichkeit vorzusehen, die Erteilung von Auskunft über die E‑Mail-Adresse, die Telefonnummer oder die IP-Adresse anzuordnen, sie aber die Möglichkeit dazu haben. Denn die Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, den Inhabern von Rechten des geistigen Eigentums einen weiter gehenden Auskunftsanspruch einzuräumen, allerdings unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.