EuGH-Urteil vom 20.2.2020, Rechtssache C‑240/18 P

 

Sachverhalt:

Die deutsche Constantin Film Produktion GmbH meldete 2015 eine Unionsmarke mit dem Wortlaut „Fack Ju Göhte“ an. Hierbei handelte es sich um den Titel einer Filmkomödie, die in Deutschland zu den größten Kinoerfolgen des Jahres 2013 zählte. Unter den Titeln „Fack Ju Göhte 2“ und „Fack Ju Göhte 3“ wurden in den Jahren 2015 und 2017 Fortsetzungen veröffentlicht.

Der Prüfer des EUIPO wies die Markenanmeldung zurück, da die angemeldete Marke gegen die guten Sitten verstoße. Auch die Beschwerdekammer des EUIPO gab der Beschwerde von Constantin Film nicht Folge, da die maßgeblichen Verkehrskreise im ersten Teil der angemeldeten Marke den englischen Ausdruck „fuck you“ erkennen würden, und dieser Ausdruck vulgär und anstößig sei.

Constantin Film erhob daraufhin eine Klage auf Aufhebung der streitigen Entscheidung beim EuG. Das Gericht wies die Klage jedoch zurück. Mit der Anfechtung dieser Entscheidung hatte sich nun der EuGH zu befassen.

 

Entscheidung:

Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass die Entscheidungen der Beschwerdekammer und des EuG aufzuheben sind. Aus der Begründung:

Gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 207/2009 sind Marken, die gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen, von der Eintragung ausgeschlossen. In Bezug auf dieses Eintragungshindernis hielt der EuGH fest, dass der Begriff „gute Sitten“ in der Verordnung nicht definiert ist. Dieser Begriff bezieht sich in seiner gewöhnlichen Bedeutung jedoch auf die grundlegenden moralischen Werte und Normen, an denen eine bestimmte Gesellschaft im jeweiligen Zeitpunkt festhält. Zum Zeitpunkt der Prüfung muss dieses Zeichen von den maßgeblichen Verkehrskreisen dahin verstanden werden, dass es mit den grundlegenden moralischen Werten und Normen der Gesellschaft unvereinbar ist. Zugrunde zu legen ist die Wahrnehmung einer vernünftigen Person mit durchschnittlicher Empfindlichkeits- und Toleranzschwelle, wobei der Kontext, in dem die Marke voraussichtlich wahrgenommen werden wird, zu berücksichtigen ist. Eine abstrakte Beurteilung genügt nicht, sondern ein Verstoß muss nachgewiesen werden.

Hintergrundelemente dürften nicht unberücksichtigt bleiben: Zu diesen Elementen gehören u.a. der große Erfolg der gleichnamigen Filmkomödie bei der deutschsprachigen breiten Öffentlichkeit und der Umstand, dass ihr Titel offenbar nicht umstritten war, sowie die Tatsache, dass der Film für Jugendliche freigegeben wurde und vom Goethe‑Institut, dem Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland, das weltweit tätig ist und zu dessen Aufgaben die Förderung deutscher Sprachkenntnisse zählt, zu Unterrichtszwecken genutzt wird. EuG und EUIPO wären dazu verpflichtet gewesen, diese Elemente zu prüfen.

Die Filmkomödie „Fack Ju Göhte“ wurde in Deutschland von knapp 7,4 Mio. Zuschauern gesehen und war auch in Österreich sehr erfolgreich. Daher könne davon ausgegangen werden, dass die relevanten deutschsprachigen Allgemeinverbraucher jedenfalls von diesen Komödien gehört haben.

Somit weisen alle diese Hintergrundelemente übereinstimmend darauf hin, dass der Titel (obwohl der Begriff „Fack Ju“ mit dem englischen Ausdruck „fuck you“ in Verbindung gebracht werden kann) vom allgemeinen deutschsprachigen Publikum nicht als moralisch verwerflich wahrgenommen wurde.

Außerdem sei die Wahrnehmung dieses Ausdrucks durch das deutschsprachige Publikum nicht zwangsläufig dieselbe wie die eines englischsprachigen Publikum, weil in der Muttersprache die Empfindlichkeit wesentlich stärker als in einer Fremdsprache sein kann. Das deutschsprachige Publikum nehme diesen englischen Ausdruck nicht zwangsläufig ebenso wahr, wie es dessen deutsche Übersetzung wahrnehmen würde.

Aus all diesen Gründen hob der EuGH sowohl das angefochtene Urteil des EuG als auch die angefochtene Entscheidung der Beschwerdekammer auf.