EuGH-Urteil vom 11.4.2019, Rechtssache C‑690/17

 

Sachverhalt:

Die ÖKO-Test Verlag GmbH und die Dr. Rudolf Liebe Nachf. GmbH & Co. KG stritten um die Benutzung der ÖKO-Test-Marke bzw. des Testsiegels von Öko-Test.

ÖKO-Test prüft Waren auf ihre Leistung und Eignung, um sodann die Öffentlichkeit über die Ergebnisse dieser Tests zu informieren.

Seit 2012 ist ÖKO-Test Inhaberin einer Unionsmarke, die  u. a. für Druckerzeugnisse und für Dienstleistungen, die in der Durchführung von Tests und der Bereitstellung von Informationen sowie der Verbraucherberatung bestehen, eingetragen ist.

Die Marke besteht aus folgendem Zeichen, das ein Siegel zur Angabe des Testergebnisses der Waren darstellt:

 

 

 

 

 

ÖKO-Test bietet gegebenenfalls dem Hersteller einer getesteten Ware an, mit ihr einen Lizenzvertrag zu schließen. Nach einem solchen Vertrag darf der Hersteller auf seinen Waren gegen Zahlung eines Geldbetrags das Testsiegel mit dem Ergebnis anbringen. Eine solche Lizenz endet, wenn ÖKO-Test für die betreffende Ware einen neuen Test durchgeführt hat.

Dr. Liebe stellt Zahncremes her und vertreibt diese. Von diesen Zahncremes wurde 2005 eine von ÖKO-Test-Verlag getestet und erhielt die Bewertung „sehr gut“. Im selben Jahr schloss Dr. Liebe mit ÖKO-Test Verlag einen Lizenzvertrag.

Im Jahr 2014 erfuhr ÖKO-Test Verlag, dass Dr. Liebe ihre Waren weiterhin mit dem Öko-Test-Siegel vertrieb.

ÖKO-Test erhob beim Landgericht Düsseldorf (Deutschland) eine Klage wegen Verletzung des Markenrechts gegen Dr. Liebe und machte geltend, dass diese nach dem 2005 geschlossenen Lizenzvertrag im Jahr 2014 nicht dazu berechtigt gewesen sei, die ÖKO-TEST‑Marke zu verwenden, da 2008 ein neuer Test mit neuen Testparametern für Zahncreme veröffentlicht worden sei und zudem die Ware von Dr. Liebe nicht mehr der 2005 getesteten Ware entspreche, da sich ihre Bezeichnung, ihre Beschreibung und ihre Verpackung geändert hätten.

Das OLG Düsseldorf setzte das Verfahren aus und legte es dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Das OLG Düsseldorf ersuchte den EuGH um Beantwortung der Frage, ob sich der Inhaber einer (aus einem Testsiegel bestehenden) Individualmarke der der Benutzung der Marke durch einen Dritten widersetzen kann, wenn dessen Waren oder den Dienstleistungen denjenigen des Markeninhabers weder identisch noch ähnlich sind; und wie diese Frage bei Vorliegen einer bekannten Marke zu beantworten wäre.

 

Entscheidung:

Der EuGH verneinte die erste Frage, dh er kam zunächst zu dem Ergebnis, dass sich der Inhaber einer aus einem Testsiegel bestehenden Individualmarke der Benutzung des Zeichens durch einen Dritten nicht widersetzen kann, wenn dieser Waren oder Dienstleistungen damit kennzeichnet, die nicht mit denjenigen des Markeninhabers identisch oder ähnlich sind. Insofern liegt keine markenmäßige Benutzung vor.

Inhabern bekannter Marken wird jedoch gestattet, es Dritten zu verbieten, ohne ihre Zustimmung und ohne rechtfertigenden Grund im geschäftlichen Verkehr ein identisches oder ähnliches Zeichen zu benutzen – unabhängig davon, ob die Waren oder Dienstleistungen ähnlich sind – wenn diese Benutzung die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Marken in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt. Die Ausübung dieses Rechts setzt nicht voraus, dass für die beteiligten Verkehrskreise eine Verwechslungsgefahr besteht.

Der Begriff „bekannt“ in Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 und in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2008/95 setzt einen gewissen Grad an Bekanntheit beim maßgeblichen Publikum voraus. Dieses Publikum ist nach der unter der betreffenden Marke vermarkteten Ware oder Dienstleistung zu bestimmen, und der erforderliche Bekanntheitsgrad ist als erreicht anzusehen, wenn die Marke einem bedeutenden Teil dieses Publikums bekannt ist.

Die „Wertschätzung“ der ÖKO-TEST‑Marke hängt davon ab, ob ein bedeutender Teil des Publikums, an das sich ÖKO-Test mit ihren Informationsdienstleistungen wendet, das Testsiegel kennt. Dieses Erfordernis der Bekanntheit kann jedoch nicht dahin ausgelegt werden, dass dem Publikum der Umstand bekannt sein muss, dass das Testsiegel als Marke eingetragen wurde. Es reicht aus, dass ein bedeutender Teil des maßgeblichen Publikums dieses Zeichen kennt.

Damit der Inhaber einer Unionsmarke den Schutz dieser Bestimmung genießen kann, reicht es aus, wenn diese Marke in einem wesentlichen Teil des Unionsgebiets bekannt ist, wobei dieser Teil gegebenenfalls dem Gebiet eines einzigen Mitgliedstaats entsprechen kann. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so ist davon auszugehen, dass die fragliche Unionsmarke in der gesamten Union bekannt ist.

Nach den Feststellungen in der Vorlageentscheidung ist das Testsiegel einem bedeutenden Teil des maßgeblichen Publikums in Deutschland bekannt.

Im Ergebnis sind Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 und Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2008/95 sind dahin auszulegen, dass sie dem Inhaber einer aus einem Testsiegel bestehenden bekannten Individualmarke gestatten, sich der Anbringung eines mit dieser Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens durch einen Dritten zu widersetzen, vorausgesetzt, es ist erwiesen, dass dieser Dritte die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung dieser Marke in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt und er keinen „rechtfertigenden Grund“ für die Anbringung dargetan hat.

Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat das vorlegende Gericht zu prüfen.