OGH-Entscheidung vom 23.8.2018, 4 Ob 124/18s

Sachverhalt:

Ein Hotel (beklagte Partei) hat seine knapp über 100 Zimmer mit Fernsehapparaten ausgestattet, über die die Hotelgäste Fernsehprogramme empfangen können. Das Signal der Rundfunkunternehmer wird über einen Signalverteiler der Beklagten an die TV-Geräte in den Hotelzimmern weitergeleitet. Die Beklagte verlangt von ihren Gästen nur den Zimmerpreis und kein gesondertes Entgelt für die Benützung der TV-Geräte.

Die Klägerin ist eine Verwertungsgesellschaft, deren Aufgabe es ist, die Rechte und Ansprüche ihrer Bezugsberechtigten, das sind in- und ausländische Rundfunkunternehmer, wahrzunehmen.

Die Klägerin begehrte die Beklagte schuldig zu erkennen, ihr Auskunft über die weitergesendeten Rundfunkprogramme sowie über die Zahl der angeschlossenen Gästezimmer zu erteilen, und ihr für die Wiedergabehandlungen Schadenersatz zu zahlen.

Entscheidung:

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Der OGH lies die Revision zu, weil zum Leistungsschutzrecht des Rundfunkunternehmers auf Weitersenden nach § 76a iVm § 17 UrhG eine Klarstellung durch den OGH geboten war, hielt sie jedoch für unberechtigt. Aus der Begründung:

Die klagende Verwertungsgesellschaft macht einen Verstoß gegen § 76a Abs 1 UrhG geltend. Diese Norm regelt das Leistungsschutzrecht des Rundfunkunternehmers an seinem Sendesignal (Signalschutz). § 76a Abs 1 UrhG gewährt dem Rundfunkunternehmer mehrere Nutzungsrechte, wie etwa das ausschließliche Recht, die (Rundfunk-)Sendung gleichzeitig „über eine andere Sendeanlage“ zu senden (Weitersenderecht). Inhaber des Leistungsschutzrechts ist der Rundfunkunternehmer (Erstsender), der Rundfunksendungen terrestrisch, über Satelliten oder über Leitungen ausstrahlt.

Das Weitersenderecht nach § 76a UrhG bezieht sich nicht nur auf die drahtlose Verbreitung, sondern auch auf die Ausstrahlung über draht-/kabelgebundene Anlagen.

Neben dem Weitersenderecht steht dem Rundfunkunternehmer das ausschließliche Recht zu, die (Rundfunk-)Sendung gleichzeitig zu einer öffentlichen Wiedergabe an Orten zu benutzen, die der Öffentlichkeit gegen Zahlung eines Eintrittsgeldes zugänglich sind.

Der EuGH war in der vorliegenden Rechtssache bereits mit einem Vorabentscheidungsersuchen befasst (EuGH C-641/15). Der EuGH gelangte u.a. zu der Ansicht, dass die öffentliche Wiedergabe gegen Zahlung eines Eintrittsgeldes eine speziell als (unmittelbare) Gegenleistung für die öffentliche Wiedergabe einer Fernsehsendung verlangte Zahlung erfordere und der Preis für ein Hotelzimmer kein solches Eintrittsgeld sei.

Auf den Tatbestand der öffentlichen Wiedergabe gegen Zahlung eines Engelts konnte die Klägerin ihre Ansprüche somit nicht mehr stützen. Der OGH hatte daher nur noch die Ansprüche der Klägerin aus dem Weitersenderecht des Rundfunkunternehmers zu prüfen.

Senden (§ 17 UrhG) und damit auch Weitersenden durch den Erstsender (§ 76a UrhG) sind nach den unionsrechtlichen Vorgaben Anwendungsfälle der öffentlichen Wiedergabe von Rundfunksendungen (hier Fernsehen) durch Ausstrahlen bzw Verbreiten der Sendesignale über eine Sendeanlage (Rundfunknetz). Die öffentliche Wiedergabe muss sich an eine (anfänglich) unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten richten, wobei es sich nicht bloß um eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen handeln darf.

Für die sekundäre (wiederholte) Wiedergabe durch den Zweitsender (Weitersenden) hat der EuGH zwei Kriterien aufgestellt, die alternativ erfüllt sein müssen. Demnach muss entweder ein neues Publikum (konkret am fraglichen Ort) erschlossen werden, das der Urheber bei seiner Zustimmung noch nicht berücksichtigt hat, oder oder ein spezifisches (anderes) technisches Verfahren verwendet werden, das von der Bewilligung der Erstsendung nicht erfasst ist.

In der Rechtsprechung des EuGH ist dazu geklärt, dass die (Weiter-)Verbreitung von Sendesignalen an Fernsehapparate in Hotelzimmern als öffentliche Wiedergabe (im Sinn einer sekundären Wiedergabe der Rundfunksendungen) anzusehen ist. Für das Weitersenden ist entscheidend, dass die vom Erstsender öffentlich ausgestrahlten programmtragenden Sendesignale vom Weitersender (Zweitsender) empfangen und als Betreiber eines Rundfunknetzes (zB Kabelnetzes) über das eigene Netz an seine Kunden weitergeleitet werden  Dadurch wird ein neues Publikum erschlossen, das sonst in der konkreten Situation keinen Zugang zu den Rundfunksendungen hätte.

Unter diesen Voraussetzungen liegt beim Hotelzimmerfernsehen somit ein Weitersenden als Anwendungsfall der öffentlichen Wiedergabe vor.

Im Anlassfall wird das Sendesignal der Bezugsberechtigten der Klägerin (Erstsender) über einen Signalverteiler der Beklagten an die TV-Geräte in den einzelnen Hotelzimmern weitergeleitet.

Als Zwischenergebnis hielt der OGH daher fest, dass die Beklagte als Zweitsenderin mit ihrem (kabelgebundenen) Hotelfernsehen eine öffentliche Wiedergabe durch Weitersenden der Sendesignale der Erstsender mit Hilfe einer anderen Sendeanlage (Kabelnetz) vornimmt.

Als weiteres Zwischenergebnis hielt der OGH fest, dass die Unionsrechtswidrigkeit der Ausnahmebestimmung des § 17 Abs 3 Z 2 lit b UrhG (wonach die Übermittlung von Rundfunksendungen durch eine Gemeinschaftsantennenanlage, wenn an die Anlage nicht mehr als 500 Teilnehmer angeschlossen sind, nicht als neue Rundfunksendung gilt) im Anlassfall nicht beseitigt werden kann. Für die Frage, ob ein Eingriff durch die Beklagte in das Leistungsschutzrecht der Bezugsberechtigten der Klägerin vorliegt, hat daher die Grenze von 500 angeschlossenen Teilnehmern maßgeblich zu bleiben.

Da die Beklagte mit ihrem Hotelzimmer-TV knapp mehr als 100 potenzielle Teilnehmer erreicht, wird die Teilnehmergrenze für eine Kleingemeinschaftsanlage damit nicht überschritten. Ein Eingriff in das Leistungsschutzrecht nach § 76a Abs 1 iVm § 17 UrhG liegt daher nicht vor. Auf die weitere Ausnahme nach § 17 Abs 3 Z 2 lit a UrhG und die Frage nach deren Unionsrechtswidrigkeit kommt es nicht mehr an.