EuGH-Urteil vom 18.10.2018, Rechtssache C‑149/17

Sachverhalt:

Der deutsche Verlag Bastei Lübbe verfügt über die Urheberrechte und verwandten Schutzrechte des Tonträgerherstellers an der Hörbuchfassung eines Buches.

Herr Strotzer ist Inhaber eines Internetanschlusses, über den dieses Hörbuch am 8. Mai 2010 einer unbegrenzten Anzahl von Nutzern einer Internet-Tauschbörse („peer-to-peer“) zum Herunterladen angeboten wurde.

Der Verlag klagte Herrn Strotzer auf Zahlung von Schadenersatz. Herr Strotzer bestritt jedoch, die Urheberrechtsverletzung selbst begangen zu haben. Sein Internetanschluss sei hinreichend gesichert gewesen. Neben ihm hätten auch seine im selben Haus wohnenden Eltern Zugriff auf den Anschluss gehabt, sie hätten aber nach seiner Kenntnis weder das Werk auf ihrem Computer noch Kenntnis von seiner Existenz gehabt noch das Tauschbörsenprogramm genutzt. Zudem sei zum Zeitpunkt der Urheberrechtsverletzung der Rechner ausgeschaltet gewesen.

Aus der Rechtsprechung des deutschen BGH geht hervor, dass im deutschen Recht in Anbetracht des Grundrechts auf Schutz des Familienlebens eine solche Verteidigung ausreiche, um die Haftung des Inhabers des Internetanschlusses auszuschließen. Das Amtsgericht München wies die Klage aus diesem Grund ab. Das Landgericht München hatte über die Berufung der Klägerin zu entscheiden und beschloss, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Entscheidung:

Der EuGH wies als Erstes darauf hin, dass das Hauptziel der Richtlinie 2001/29 nach ihrem neunten Erwägungsgrund darin besteht, ein hohes Schutzniveau für das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte zu erreichen, da diese Rechte für das geistige Schaffen wesentlich sind.

Vor diesem Hintergrund sprach der EuGH aus, dass das Unionsrecht einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, wonach der Inhaber eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, nicht haftbar gemacht werden kann, wenn er ein Familienmitglied benennt, dem der Zugriff auf diesen Anschluss möglich war, ohne nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Nutzung des Anschlusses durch dieses Familienmitglied mitzuteilen.

Nach Auffassung des EuGH muss ein angemessenes Gleichgewicht zwischen verschiedenen Grundrechten, nämlich zum einen dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und dem Recht des geistigen Eigentums und zum anderen dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, gefunden werden.

An einem solchen Gleichgewicht fehlt es, wenn den Familienmitgliedern des Inhabers eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, ein quasi absoluter Schutz gewährt wird.

Wenn ein Gericht keine entsprechenden Beweismittel verlangen kann, die Familienmitglieder der gegnerischen Partei betreffen, dann werden die Feststellung der gerügten Urheberrechtsverletzung und die Identifizierung ihres Täters unmöglich gemacht. Folglich kommt es zu einer qualifizierten Beeinträchtigung des Grundrechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und der dem Inhaber des Urheberrechts zustehenden Grundrechte des geistigen Eigentums.

Anders verhielte es sich jedoch, wenn die Rechtsinhaber zur Vermeidung eines für unzulässig gehaltenen Eingriffs in das Familienleben über einen anderen wirksamen Rechtsbehelf verfügen könnten, der es ihnen in diesem Fall insbesondere ermöglichte, die zivilrechtliche Haftung des Inhabers des betreffenden Internetanschlusses feststellen zu lassen.

Zudem ist es letztlich Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob das betreffende nationale Recht gegebenenfalls andere Mittel, Verfahren oder Rechtsbehelfe enthält, die es den zuständigen Gerichten ermöglichen, die Erteilung der erforderlichen Auskünfte anzuordnen, mit denen sich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Urheberrechtsverletzung und die Identität des Zuwiderhandelnden feststellen lässt.

Nach alledem beantwortete der EuGH die Vorlagefragen dahingehend, dass Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29 in Verbindung mit ihrem Art. 3 Abs. 1 einerseits und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48 andererseits dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren streitigen in der Auslegung durch das zuständige nationale Gericht entgegenstehen, wonach der Inhaber eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, nicht haftbar gemacht werden kann, wenn er mindestens ein Familienmitglied benennt, dem der Zugriff auf diesen Anschluss möglich war, ohne nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Nutzung des Anschlusses durch dieses Familienmitglied mitzuteilen.