OGH-Entscheidung vom 25.9.2018, 4 Ob 116/18i

Sachverhalt:

Die Klägerin ist Medieninhaberin einer monatlich erscheinenden Wohnzeitschrift.

Der Beklagte ist ein Verein, dessen statutenmäßiger Zweck im Wesentlichen die Durchführung bzw Veranlassung von Reichweitenuntersuchungen von Werbeträgern wie zB Zeitungen oder Zeitschriften ist. Der Verein führt in Österreich jährlich die sogenannte Media-Analyse durch. Dabei handelt es sich um die größte Untersuchung über das Mediennutzungsverhalten der österreichischen Bevölkerung. Ziel ist es, das Medien- und Verbraucherverhalten der Österreicher objektiv darzustellen, also zu erheben, welche Reichweiten einzelne Werbeträger aufweisen. Die Ergebnisse werden den Mitgliedern zugänglich gemacht.

Für Medieninhaber und Verlage ist beim Verkauf von Anzeigenflächen ein wesentliches Kriterium, möglichst hohe Reichweiten ihrer Medien (Werbeträger) behaupten zu können. Je höher die Reichweite eines Mediums ist, desto attraktiver ist die Schaltung von Inseraten darin. Die Media-Analyse des Beklagten gilt in Österreich damit als „Leitwährung“ der Werbewirtschaft.

Bestreben der Media-Analyse ist es, die Ergebnisse nach den Kriterien der Methodenlehre bestmöglich zu erheben. Anlage und Durchführung der Media-Analyse entsprechen dem internationalen Standard. Zur Erhebung der Reichweitenzahlen der einzelnen Medien werden Interviews mit Medienkonsumenten durchgeführt.

Der Beklagte informiert seine Mitglieder in allen Publikationen darüber, dass die erhobenen Daten der statistischen Schwankungsbreite unterliegen. Dies erfolgt an mehreren Stellen in den Jahres-Berichtsbänden und auf der Website. Die Schwankungsbreiten werden dabei im Jahresbericht bei den „Definitionen“ erläutert. Dort wird angegeben, dass die ausgewiesenen Werte die Werte mit der größten Wahrscheinlichkeit repräsentieren und der tatsächliche Wert mit 95 % Wahrscheinlichkeit innerhalb der Schwankungsbreite liegt. Unter „Wichtige Hinweise“ wird im Jahresbericht angeführt, dass für die Berechnung der Schwankungsbreiten sowie der Signifikanzen (Aussagen über die Irrtumswahrscheinlichkeit) ungewichtete Fallzahlen verwendet werden müssen. Zwei Seiten des Jahresberichts befassen sich mit den Formeln zur Berechnung von Schwankungsbreiten und Signifikanzen, drei Seiten mit Tabellen theoretischer Schwankungsbreiten.

32 % der Anzeigenkunden österreichischer Wohnzeitschriften gehen davon aus, dass die veröffentlichten Reichweiten der Media-Analyse immer im Rahmen der statistischen Schwankungsbreiten liegen und den tatsächlichen Reichweiten entsprechen. 7 % der gesamten Anzeigenkunden halten es für überprüfbar, ob die tatsächlichen Reichweiten wirklich innerhalb der statistischen Schwankungsbreiten liegen.

Die Klägerin war der Ansicht, dass die vom Beklagten veröffentlichten Reichweitendaten unüberprüfbar seien, die tatsächlichen Leserzahlen außerhalb der statistischen Schwankungsbreite lägen und von den Ergebnissen der Media-Analyse grob abweichen könnten. 39 % der Anzeigenkunden hätten in diesem Punkt falsche Vorstellungen von der Media-Analyse. Die Geschäftspraktik des Beklagten sei irreführend, weil dieser den angesprochenen Verkehrskreisen die Information vorenthalte, dass die tatsächlichen Leserzahlen grob (außerhalb der statistischen Schwankungsbreite) von den veröffentlichten Reichweiten abweichen könnten. Sie klagte daher auf Unterlassung.

Entscheidung:

Das Erstgericht bejahte den Unterlassungsanspruch. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH hielt die Revision des Beklagten jedoch für zulässig und berechtigt. Aus der Begründung:

Beim Irreführungstatbestand ist zu prüfen,

(a) wie ein durchschnittlich informierter und verständiger Interessent für das Produkt/die Dienstleistung, der eine dem Erwerb solcher Produkte/Dienstleistungen angemessene Aufmerksamkeit aufwendet, die strittige Ankündigung versteht,

(b) ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob

(c) eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, den Interessenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte.

Der OGH hatte zu prüfen, ob die beanstandeten Reichweitenangaben irreführend sind. Dabei kam er zunächst zu dem Ergebnis, dass – entgegen den Rechtsansichten der Vorinstanzen – der Beklagte in der Media-Analyse die mathematische Richtigkeit bzw die Unüberprüfbarkeit der Reichweitendaten nicht suggeriert.

Der Senat hat bereits ausgesprochen, dass eine Irreführungsquote von einem Viertel bis einem Drittel der Marktteilnehmer im Allgemeinen für die Annahme der Irreführungseignung ausreicht. Diese Judikatur setzt allerdings voraus, dass der Irrtum (die unrichtige Vorstellung von der Wirklichkeit) dem belangten Unternehmer auch zuzurechnen ist. Im Anlassfall sind die irrigen Annahmen der Marktteilnehmer dem Beklagten aber schon deshalb nicht zuzurechnen, weil er über die Qualität der veröffentlichten Daten ausreichend aufgeklärt hat.

Aufklärende Hinweise sind grundsätzlich geeignet, die Irreführung zu beseitigen. Der OGH hat zur Werbung mit Leserzahlen aufgrund von Umfrageergebnissen bereits eine Hinweispflicht auf statistische Mittelwerte bejaht und zwar unabhängig davon, ob die Ergebnisse innerhalb der Schwankungsbreite liegen. Die Vorinstanzen warfen dem Beklagten zwar keinen Verstoß gegen eine solche Hinweispflicht vor. Sie sind aber in ihrer rechtlichen Beurteilung übereinstimmend davon ausgegangen, der Beklagte habe nicht darauf verwiesen, dass die tatsächlichen Reichweiten auch außerhalb der veröffentlichten Schwankungsbreiten liegen könnten.

Ein entsprechender Hinweis findet sich jedoch bei den „Definitionen“ in den Jahresberichten des Beklagten. Neben der Erklärung des Begriffs der Schwankungsbreite verweist der Beklagte darauf, dass „der tatsächliche Wert […] mit 95 % Wahrscheinlichkeit innerhalb der statistischen Schwankungsbreite“ liegt. Aus diesem Hinweis ergibt sich zwingend, dass die veröffentlichten Werte auch außerhalb der Schwankungsbreite liegen könnten, weshalb keine Irreführung durch vom Beklagten unterlassene Aufklärung vorliegt.

Allein der (dem Beklagten nicht zurechenbare) Irrtum eines beträchtlichen Teils der Anzeigenkunden österreichischer Wohnzeitschriften über die Aussagekraft der im Rahmen der Media-Analyse veröffentlichten Zahlen zur Reichweite bestimmter Medien konnte laut OGH den geltend gemachten Hauptanspruch nicht stützen.

Der OGH gab der Revision des Beklagten daher Folge und änderte die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin ab, dass das Unterlassungsbegehren samt Veröffentlichungsbegehren abgewiesen wird.